Generative KI und die Angst, etwas zu verpassen

30. November 2023 um 14:01
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Matt Wood, VP Technology, auf der Bühne in Las Vegas. Quelle: AWS / Screenshot

An der grossen Kundenveranstaltung von AWS ist generative KI das dominierende Thema. Der Hype hat dazu geführt, dass sich CEOs plötzlich für Technologie interessieren und Cloud-Budgets absegnen.

"Fear of missing out" oder "FOMO" nennt sich im Englischen die Sorge, man könnte etwas verpassen. Bei Unternehmen scheint es derzeit eine gewisse KI-FOMO zu geben. Das Thema sei Gesprächsthema Nummer 1 mit allen Kunden, sagt Uwem Ukpong, VP Global Services, im Rahmen der grossen AWS-Kunden- und Entwicklerveranstaltung Reinvent. Das bestätigt auch Phil Le-Brun, AWS Enterprise Strategist. Er müsse viel über KI sprechen. "Aber das Interessante ist, dass Menschen, die vorher kein Interesse an Technologie hatten, sich plötzlich beinahe verpflichtet fühlen, sich zu informieren."
Kein CEO würde zugeben, dass er von Finanzen oder Teamleitung keine Ahnung habe. Als Führungskraft eines Unternehmens müsse man wissen, wie man Menschen führe und wie man Geld sinnvoll einsetze, so der AWS-Manager. Er hoffe, dass dies bei Technologie bald auch so sein werde. "In 10 Jahren soll es für einen CEO nicht mehr akzeptabel sein, zu sagen: 'Ich verstehe nichts von Technologie oder Daten.'"

Das Unternehmen neu denken

Phil Le-Brun ist einer von einem guten Dutzend ehemaliger CIOs, CTOs oder CDOs, die vor ihrer Zeit bei AWS bei Kundenunternehmen gearbeitet haben. Er verbrachte den grössten Teil seiner Karriere bei McDonald's, wo er als International CIO unter anderem die Innovation-Teams leitete und die Migration in die Cloud anstiess.
Als Enterprise Strategist ist er nun für die Beratung von Kunden zuständig. "Wir versuchen CEOs zu helfen, ihre eigenen Fehler zu machen", beschreibt er seine Rolle. Nicht alles, was ein Unternehmen plane, werde funktionieren. "Aber es gibt keinen Grund für Sie als Führungskraft, Dinge zu lernen, die schon 40 Organisationen vor Ihnen gelernt haben".
Einen Fehler, den Unternehmen machen könnten, sei es, ihre Ziele nicht kühn genug zu stecken, so Le-Brun. Der Vorsatz, sich in den nächsten 10 Jahren verändern zu wollen, ergebe keinen Sinn. "Ich weiss nicht, ob ich – oder irgendjemand – vorhersagen kann, was nächstes Jahr passieren wird, geschweige denn in 10 Jahren."
Ihm sei wichtig, dass KI nicht nur als technologisches Problem betrachtet werde. "Wir versuchen, Führungskräfte zu ermutigen, darüber nachzudenken, wie sie ihr Unternehmen neu denken könnten".

Cloud ist ein Mittel zum Zweck

Geht es nach dem Cloud-Giganten, beinhaltet digitale Transformation zwingend auch Cloud. "Ich kenne keinen Kunden, der weiterhin in bedeutender Weise in On-Premises-Infrastruktur investiert", sagte Matt Wood, VP Technology, im Gespräch. "Ich denke, die Argumente für eine On-Prem-Infrastruktur sind im Vergleich zu den Möglichkeiten von Cloud-Computing ziemlich schwach."
Die Mehrheit aller Workloads liegt derzeit noch in On-Premises-Infrastrukturen. Mit generativer KI hätten Cloud-Projekte aber an Schwung gewonnen, so Uwem Ukpong, der mit seinen Teams die Global Services verantwortet. Bei Unternehmen, die lange zögerlich gewesen seien, gebe es plötzlich Budget, führte er aus. Denn nur so liesse sich generative KI nutzen. Aber nicht nur für KI sei Cloud ein Mittel zum Zweck.

Unternehmensdaten als Wettbewerbsvorteil

Im Gespräch verwies Phil Le-Brun auf eine McKinsey-Studie, der zufolge generative KI in 4 Bereichen viel Nutzen bringen wird: Kundenservice, Vertrieb und Marketing, Forschung und Entwicklung sowie Softwareentwicklung. Für einen sinnvollen Use Case müssten auf generativer KI basierende Applikationen aber auch mit Unternehmens-eigenen Daten angereichert werden. "Nur Sie verfügen über diese Daten, sie sind ein Wettbewerbsvorteil", so Le-Brun.
Mit Bedrock bietet AWS seinen Kunden Zugang zu verschiedenen KI-Modellen – zu eigenen, aber auch zu den Modellen von AI21 Labs, Anthropic, Cohere oder Meta. Es gebe nicht das eine Modell, das sich für alle Zwecke eigne. "Und selbst wenn das der Fall wäre, glauben wir nicht, dass Kunden dieses Modell von einem einzigen Anbieter beziehen wollen", sagte Matt Wood.

AWS will mit Auswahl und Datenschutz punkten

Bedrock bietet zudem die Möglichkeit, diese Modelle mit eigenen Daten anzureichern, AWS nennt dies Finetuning. Der US-Konzern verspricht, diese Daten weder einzusehen noch für das Training seiner KI-Modelle zu verwenden. "Sie behalten die Kontrolle über Ihre Daten" betonte Wood.
In Bezug auf Sicherheit und Datenschutz arbeite AWS anders als andere Anbieter, war im Rahmen der Reinvent mehrfach zu hören. "Wenn Sie sich andere grosse Cloud-Anbieter ansehen, finden Sie in deren Dokumentation eine Warnung, dass Ihre Eingaben von Menschen überprüft werden. Unternehmenskunden möchten nicht, dass sich Menschen, die nicht für das Unternehmen arbeiten, mit diesen Dingen befassen", so Wood im Gespräch.
Dies gelte auch beim Finetuning, wie der Technology-Verantwortliche ausführte. "Wir passen das Modell an, legen es in einen Container und fertig. Es steht nur Ihnen zur Verfügung."

Hype oder Realität?

Einer von AWS zitierten WEF-Studie zufolge werden 75% aller Unternehmen bis 2027 KI-Technologien eingeführt haben. Ist die KI-FOMO also begründet? Bis zu einem gewissen Grad wohl schon.
Man sei teilweise zwar noch im Hype-Moment gefangen, so IDC-Analystin Roberta Bigliani in einem Gespräch am Rande der Reinvent. Aber anders als beispielsweise Blockchain sei generative KI definitiv eine Technologie, mit der sich Probleme lösen liessen. Während Blockchain noch immer nach Problemen suche.
Es sei noch früh und Kunden müssten erst Erfahrungen sammeln. Aber für sie sei der Ansatz von AWS interessant. Wenn man zum Beispiel bedenke, dass ganz viele Unternehmen den Einsatz von ChatGPT nicht erlaubten, sei der Weg, den AWS einschlage, ein kluger Schachzug.
Interessenbindung: Die Autorin wurde vom Hersteller an die AWS Reinvent eingeladen (Flug, Unterkunft).

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