Zunächst herzlichen Dank an inside-it.ch beziehungsweise Reto Vogt für die
Ernennung zum Kolumnisten! Das ist ein Risiko, weil uns Juristinnen und Juristen der Ruf bzw. das Gefühl der Langeweile beim Lesen oder Zuhören vorauseilt. "Make or buy" ist nicht nur der Titel meiner Kolumne, sondern auch das spezifische Thema des ersten Beitrags.
An einer Tagung der Berner Fachhochschule mit dem Titel "Shape the State" zu Themen der digitalen Souveränität (Transform 2022) gab es neben einem belanglosen Vortrag zu
"Google vs. Bundesamt für Bauten und Logistik / Public Cloud" (Youtube) eine Keynote von Daniel Markwalder mit dem Titel "
Auslegeordnung: Digitale Souveränität aus Sicht der Bundesverwaltung" (Youtube) zu hören. In diesem Zusammenhang wurden Themen aufgegriffen, die die Frage "Make or Buy?" anklingen liessen. Aber niemand hatte so richtig eine Antwort darauf, was eigentlich die vergaberechtlichen Rahmenbedingungen sind zur Frage nach der "Make or Buy"-Entscheidung. Darum hier ein paar Gedanken dazu:
Wenn der Staat gleichzeitig Auftraggeber und Anbieter ist
Immer schon brisant war die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Staat auf Anbieterseite auftreten und private Anbieter konkurrenzieren soll. Das Bundesverwaltungsgericht hat zum Beispiel erkannt, dass eine sich mit einer Offerte an einer öffentlichen Ausschreibung beteiligte öffentliche Akteurin – im infrage stehenden Fall die Universität Zürich – nicht mit einem für die Universität als Anbieterin nicht kostendeckenden Angebot beteiligten darf (
BVGE 2017 IV/4, vom Bundesgericht bestätigt). Stichwort: Wettbewerbsverzerrung.
Eine ganz andere Frage ist, ob der Staat seinen Bedarf durch Nachfrage auf dem Markt oder durch eigene Herstellung deckt. Und die E-ID-Debatte wie auch die Covid-App haben gezeigt, dass die wichtigen Entscheide schon vorgelagert sind. Souveränität und Steuerungsmöglichkeiten sind Qualität, und Abhängigkeit ist ein Qualitätsmangel. Das haben die Litauer schon 2018 verstanden, als sie Flüssiggasteminals mit der Begründung bauten, die Unabhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland sei aus ihrer Sicht ein systemkritisches Qualitätsmerkmal. Das heisst: Je systemkritischer eine Infrastruktur – egal ob Eisenbahntunnel oder im IT-Bereich – desto wichtiger sind Steuerungsmöglichkeiten und das zur Steuerung befähigende interne Know-how auf Auftraggeberseite.
Kein ideologischer Entscheid
Dementsprechend ist "Make or Buy" auch nicht ein ideologischer Entscheid zwischen Staatsgläubigkeit oder Etatismus und Bekenntnis zur echt freien Marktwirtschaft. Das Vergaberecht geht vielmehr davon aus, dass die entsprechenden Systemstabilitäts-, Steuerungs- und Qualitätsansprüche der entscheidende Gesichtspunkt sind. Darum will das neue Vergaberecht nicht ein Maximum an Wettbewerb, sondern eine Balance zwischen Qualitätsorientierung und Wettbewerbszielsetzung, oder mit anderen Worten Qualitäts- statt Preiswettbewerb.
Deshalb auch die "neue" Formel, wonach das vorteilhafteste Angebot den Zuschlag erhalten soll. Dadurch wird auch die Unterscheidung zwischen "make" und "buy" weniger als wettbewerbspolitisches Bekenntnis, sondern als Ergebnis der nüchternen Analyse der Bedürfnisse der Auftraggeber gesehen. Das gilt in Zeiten, wo das einschlägige Publikum weiss, was mit Resilienz als Ziel und Teilgehalt von "economy design" gemeint ist, umso mehr (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
B-5011/2018 vom 25. Mai 2020 E. 5.4). In die gleiche Richtung zielen das "neue" Welthandelsvergaberecht 2012 und die EU-Vergaberichtlinien 2014. Darum ist auch der Spielraum für inhouse-ähnliche "Beschaffungsvorgänge" grösser als früher.
Nicht nur die Unternehmen, sondern auch die öffentliche Hand hat (als Nachfragerin) einen Gestaltungsspielraum
Wir merken ja alle, dass selbst die 'NZZ' anders über Wirtschaftspolitik redet als vor 20 Jahren. Die beschriebene konzeptionelle Neuausrichtung des einschlägigen Rechts führte auch zu einer Mindsetanpassung der akademischen Zunft. Rhinow/Schmid/Biaggini hatten in ihrer Publikation "Öffentliches Wirtschaftsrecht" (Basel 1998, § 19 Rz. 4) noch lapidar festgehalten, der Staat solle grundsätzlich bei der Erfüllung seiner Aufgaben solange auf vorhandene geeignete und günstige Angebote Privater zurückgreifen, wie diese den Anforderungen genügen und eine eigene Produktion teurer zu stehen käme. Ein Hauch Milton Friedman und Margret Thatcher durchweht den gefühlten Raum. Dann kommt aber die diskrete Anpassung in der zweiten Auflage desselben Werks (Rhinow/Schmid/Biaggini/Uhlmann, 2. vollständig überarbeitete Auflage, Basel 2011, § 19 Rz. 4) mit folgender Ergänzung: Der Staat ist im Rahmen seiner Organisationshoheit frei, seinen Bedarf durch eigene Betriebe oder am Markt zu decken. Und jetzt der Hammer: Der Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit verlangt insofern nicht eine bestimmte Form der Mittelbeschaffung.
So ist es! Und warum hat das die Wirtschaftsverwaltungsrechtsszene gemerkt und das Lehrbuch angepasst? Wegen der Rechtsprechung! Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat – Verfahrensgegenstand waren makabererweise "Staatssärge" – erkannt, dass sich aus dem öffentlichen Beschaffungsrecht kein Anspruch auf die Privatisierung oder den Verzicht auf die Rekommunalisierung einer Aufgabe ergibt (Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich
VB.2006.00145 E. 1.2 f.). Das Vergaberecht will nur, aber immerhin, sicherstellen, dass sich alles "buy"-Verhalten nach den einschlägigen rechtlichen Vorschriften abspielt. Diese Rechtsauffassung hat sich auch das Bundesverwaltungsgericht mit dem bekannt gewordenen Personalverleihfall
BVGE 2011/17 E. 2 zu eigen gemacht. (Zum Personalverleih gibt’s garantiert einmal eine eigene Kolumne; versprochen!) Damit ist der "Make or Buy"-Entscheid von ideologischen Scheuklappen befreit.
Quod erat demonstrandum.
Zum Autor
Marc Steiner ist seit 2007 Richter am Bundesverwaltungsgericht und Spezialist für das öffentliche Beschaffungsewsen. Zusammen mit Prof. Rika Koch leitet er die Fachgruppe Public Procurement am
BFH-Institut Public Sector Transformation. In seiner Kolumne "Make or Buy" äussert er seine persönliche Meinung.