Ja, ich gebe es zu, auch mich stören unverhältnismässige und freche Bankspesen. Wenn ich mit meiner Schweizer Kreditkarte im Ausland einen Austernteller und eine Flasche Pouilly-Fumé im Restaurant bezahle, dann kassiert "die Bank" mindestens dreimal:
- Das Restaurant bezahlt eine Transaktionsgebühr im Prozentbereich (das ursprüngliche Geschäftsmodell der Kreditkarten neben der eigentlichen Kreditvergabe und ergo Zinsverrechnung)
- Ich bezahle eine "Fremdwährungs-Bearbeitungsgebühr" im Prozentbereich
- Im Umrechnungskurs verstecken sich weitere Margen, weil hier auf dem Interbanking-Wechselkurs noch ein schöner Batzen drauf kommt – das nennt sich dann "Retail-Wechselkurs", ein Euphemismus für Wucher.
Und man fragt sich im Zeitalter der vollautomatischen Digitalisierung des Zahlungsverkehrs unweigerlich: "Wer bearbeitet hier eigentlich was genau, wofür er eine Bearbeitungsgebühr verlangt?". Und wieso ist die Gebühr abhängig von der Höhe des Betrags?
Revolut und alle anderen verdienen immer noch kein Geld
Genau dieser Umstand hat auch die Gründer von Revolut genervt. Sie haben flugs das Unternehmen als "Neo- oder Challengerbank" gegründet. Und alle riefen "Hurra, jetzt wird die Bankenwelt disruptiert!". Mittlerweile gibt es etliche Neo-Banken, die auf der Disruptionswelle mitreiten wollen. Alleine in der Schweiz sind mehrere unterwegs. Ähnlich verhält es sich mit verschiedenen anderen Geschäftsbereichen, wenn man an Disruption denkt:
- Netflix hat die Videotheken zum Verschwinden gebracht
- Amazon hat den Retail umgekrempelt
- Airbnb hat eigentlich nichts verändert, Hotels gibt es genauso wie "normale" Ferienwohnungen
- Uber? Wird (berechtigterweise) durch den Staat zur Abgabe von Sozialabgaben etc. verpflichtet und ist somit nichts anderes als ein weiteres Taxiunternehmen.
Wir wissen unterdessen ja alle, was disruptiv bedeutet: aus dem Englisch "stören" oder "unterbrechen" meint man damit typischerweise Innovationen, die ältere Geschäftsmodelle oder Technologien ersetzen. Lustigerweise hat den Begriff ein gewisser Clayton M. Christensen in seinem Buch "
The Innovator’s Dilemma" geprägt. Christensen war dabei nicht nur Professor für Betriebswirtschaftslehre in Harvard, sondern auch Bischof der
Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.
Die Rache ist eben nicht süss
Die wichtigste Frage ist aber nicht, ob man unliebsame Player aus dem Markt drängt und Rache für jahrelange übliche fiese Geschäftsmachenschaften üben kann, sondern ob für mich als Benutzer oder die Gesellschaft im Allgemeinen etwas Besseres herauskommt. Man wird den Eindruck jedoch nicht los, dass genau dies, also die Disruption um der Disruption willen, eine der Hauptmotivationen vieler Start-ups ist. Man möchte es den alten, trägen Firmen "zeigen".
Gute und insbesondere echte Beispiele von disruptiven Technologien oder Geschäftsmodellen sind beispielsweise die Erfindung des MP3-Musikformats und aller damit verbundenen Errungenschaften. Die Musikindustrie als Ganzes hat unter dem Strich nicht darunter gelitten, lediglich die CD- und Platten-Verkaufsläden (und wahrscheinlich die Musik-Labels) sind in den rein digitalen Raum zu Apple, Spotify etc. gewandert.
Und die Erfindung von Digitalkameras hat zwar den Bedarf an Fotoentwicklung auf null reduziert, aber dafür neuartige Fotoprodukte hervorgebracht.
Neu wird auf Plattformen disruptiert
Bei den neumodischen Disruptionsversuchen geht es vielfach um sogenannte Plattformen: Uber, Amazon etc. vermitteln zwischen Angebot und Nachfrage und die bisherigen Vertriebskanäle werden disruptiert. Und wir sehen: wenn wir über disruptiv sprechen, geht es schnell um Geschäftsmodelle und damit verbundene Wertschöpfung (wer verdient an was wieviel und wofür). Das bringt uns zum Hauptproblem: In vielen dieser "Disruptionsgeschäfte" gilt: the winner takes it all – und das Geld geht dann immer mehr direkt zu den Grossen in Amerika. Welche Wertschöpfung wird dabei eigentlich erschaffen?
Kurz zurück zum einleitenden Beispiel der Neo-Banken: Es gibt meines Wissens weltweit bisher immer noch keine einzige disruptive Bank, die bewiesen hätte, dass ihr Geschäftsmodell funktioniert. Alle, auch und insbesondere die grossen wie Revolut, werden immer noch mit Fremdkapital alimentiert.
Deshalb: "Disruption" und "Innovation" können nicht gleichgesetzt werden,
Wir lernen: Disruption ist weder ein Faktor für Erfolg (eines Geschäftsmodells) noch mit Innovation gleichzusetzen. Echte disruptive Innovationen entstanden meistens als zufälliges Nebenprodukt aus der Forschung und nicht auf dem Reissbrett als Mittel zum Zweck. Die meisten disruptiven Technologien sind gar keine Innovationen und vice versa. Das Label "disruptiv" sollte also niemals a priori als Pseudo-Qualitätssiegel vergeben werden, sondern immer erst a posteriori. Oder um es noch klarer zu formulieren: "Disruptiv" ist gar nicht erstrebenswert.