An Kritik der behördlichen Digitalisierung wird in der Regel nicht gespart. Die Schlagzeilen lesen sich ja auch süffig: vom "Bundes-Sorgenkind Digitalisierung" oder "Faxbehörden" ist da die Rede. Natürlich entbehren diese träfen Zuspitzungen nicht jeglicher Grundlage, ganz vieles fühlt sich im Behördenkontakt immer noch schrecklich altbacken an. In den vergangenen zwei Jahren hat die Bundesverwaltung aber einen bemerkenswerten kulturellen Ruck erlebt. Über Nacht katapultierte die Pandemie die Digitalisierung ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, auch bei der Verwaltung. Erfolgreiche Digitalisierung – und das Gegenteil davon – wurden in allen Facetten breit diskutiert. Unbestritten blieb die Feststellung, dass Daten und digitale Werkzeuge während der Krise einen enorm wichtigen Beitrag an das Weiterfunktionieren unserer Gesellschaft in fast allen Lebensbereichen leisten konnte.
Einige Beispiele gefällig? Mit der Tracing-App Swisscovid ist der international bestens vernetzten Schweiz überdies – zumindest technisch – ein grosser Coup gelungen, erdacht an Schweizer Hochschulen, gebaut von lokalen Schweizer KMU und betrieben durch den Bund. Entstanden ist eine datensparsames, dezentrales, als Open Source Software freigegebenes Contact Tracing App, die mit grosser Resonanz eine neue Ära behördlicher Digitalisierung einläutete. In Windeseile hat das Parlament die nötige Gesetzesgrundlage geschaffen. Mit der Mobile App fürs Covid-Zertifikat, die weitgehend den gleichen Prinzipien folgt, wurde ein Jahr später ein weiterer durchschlagender Erfolg nachgelegt. Die Leistung der Behörden war beachtlich: Im
Parldigi Open Hearing vor einem Jahr erzählte BIT-Direktor Dirk Lindemann die spannenden Details zur Entstehung der Anwendung.
Parlament und Bundesrat haben schnell auf das Nein reagiert
Diese Beispiele zeigen: Politik und Verwaltung können zeitgemässe, bedienungsfreundliche Digitalisierung eben doch, wenn sie nur wollen.
Mitten in der Pandemie durfte sich die Schweizer Stimmbevölkerung dann als wohl einziges und erstes Land auf der ganzen Welt demokratisch damit auseinandersetzen, wie amtliche Digitalisierung auszusehen hat. Der Staat soll eben doch eine Rolle spielen und der digitalen Datenkraken-Malaise, der sich viele Menschen ohnmächtig ausgesetzt fühlen, Gegensteuer geben. Das zeigte die wuchtige Ablehnung der E-ID-Vorlage überdeutlich, die über zehn Jahre nach der wenig erfolgreichen SuisseID mit SwissID ein zweites Mal der Privatwirtschaft das Bereitstellen eines digitalen Ausweises delegieren wollte. Das Volks-Nein wiegt in Bern schwer. Das Parlament hat das Signal aber verstanden und nur drei Tage nach der Abstimmung in einer breit abgestützten Allianz dem Bundesrat mit dem Vorschlag einer vertrauenswürdigen, staatlichen E-ID den Ball zugespielt. Dieser hat nach seiner Abstimmungsniederlage erstaunlich schnell und offen reagiert. Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik wurden eingeladen, an einem inklusiven Prozess teilzunehmen: im direkten Dialog in regelmässigen öffentlichen Hearings und
asynchron auf GitHub.E-ID auch in der physischen Welt nützlich
Allein diese Tatsache spricht Bände für einen für Fachleute seit langem ersehnten Kulturwandel hin zu agiler, iterativer Ko-Kreation.
Nun ist das neue Gesetz in der Vernehmlassung. Eine sogenannte Self-Sovereign Identity (SSI) als staatliches, digitales Pendant zur Identitätskarte wird es geben. Der Betreibungsregisterauszug soll damit online genauso einfach bestellt werden können wie das digitale Kundenonboarding bei der Bank, die ihre Kundinnen und Kunden kennen muss. Und mit der Datensparsamkeit lassen sich auch echte Verbesserungen in anderen Bereichen umsetzen. Beim Alkoholkauf am Kiosk – also auch in der physischen Welt – kann künftig mit der E-ID anonym belegt werden, dass man über 18 Jahre alt ist. Dies ist möglich, ohne den Namen oder das genaue Geburtsdatum preisgeben zu müssen. Hingegen bergen neue Chancen auch Gefahren, beispielsweise der Überidentifikation. Es ist wichtig, dass künftig an Orten, wo keine Identifikation nötig ist, auch weiterhin keine eingefordert wird.
Erste Pilotprojekte sind bereits in Planung
Damit es nun zügig vorangeht, baut der Bund schon an Pilotprojekten mit Ausweisen, bei denen eine gesetzliche Grundlage besteht, wie dem hauseigenen Ausweis des Bundespersonals oder dem Führerschein. Denn das Projekt E-ID wird mehr sein als eine digitale Identitätskarte. Es wird eine Vertrauensinfrastruktur gebaut, in welchem die Bevölkerung im E-Wallet nicht nur eine E-ID mit sich führt, sondern eben auch andere Ausweise, wie zum Beispiel das Schuldiplom oder den Fachausweis. So können auch Private, die solche Belege ausstellen oder Daten davon entgegennehmen, Teil der gleichen öffentlichen Infrastruktur werden.
Ein paar Hürden gibt es dann aber schon noch. Das Gesetz muss als Nächstes das Parlament und danach vielleicht sogar nochmal ein Referendum überstehen.
Und dann muss die Wirtschaft den Ball aufnehmen. Zuerst steht zwar die behördliche Interaktion im Zentrum. Damit aber eine E-ID langfristig breit akzeptiert wird und Wirkung entfalten kann, müssen auch die Unternehmen auf den Geschmack kommen. Wie das gehen kann, lässt sich gut am Covid-Zertifikat abschauen: Die nötigen, unter Open-Source-Lizenzen publizierten Software Development Kits (SDK) und Schnittstellen (API) haben die Integration in die Unternehmensprozesse sehr einfach gemacht. Solches Vorgehen wird auch bei der E-ID von zentraler Bedeutung sein.
Wenn also alles gut kommt – und danach sieht es derzeit aus – entsteht mit dem neuen E-ID-Gesetz bald ein essenziell wichtiger Baustein für mehr Souveränität im digitalen Raum.
Über die Kolumne:
Jeden Monat äussern sich Politikerinnen und Politiker sowie digital-politisch Engagierte aus allen Lagern zum Geschehen in Bern und in den Kantonen. Nächsten Monat schreibt Judith Bellaiche, GLP-Nationalrätin, die
"Parldigi direkt"-Kolumne.