Die Netzsperren des Bundes funktionieren nicht

11. September 2019 um 09:42
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"Diese untauglichen Sperrlisten brauchen aus netzpolitischer Sicht eine gerichtliche Beurteilung, und wir überlegen uns deshalb eine Beschwerde", kritisiert ein Provider.

Anfang September hatte der Bund als Konsequenz aus dem neuen Geldspielgesetz erste Netzsperren verhängt. Auf zwei Listen der Lotterie- und Wettkommission (Comlot) und der Eidgenössischen Spielbankenkommission (ESBK) wurden über hundert Lotterien, Sportwetten und Online-Casinos veröffentlicht, zu denen Schweizer IPSs den Zugang sperren mussten. Doch die Netzsperren funktionieren nicht, wie der ‘Tages-Anzeiger‘ berichtet.
Am 10. September lief die Frist zur Umsetzung der Sperren ab. Offenbar war aber im Medienzentrum des Bundeshauses der Zugriff auf die illegalen Seiten weiterhin möglich. Dort stellt das Bundesamt für Informatik und Technologie (BIT) den Internetzugang zur Verfügung. Das Amt sei von dem Gesetz nicht direkt betroffen und selbst nicht verpflichtet, die Netzsperren anzuwenden, dafür wären die Internetanbieter des Bundesamts zuständig, erklärte die Behörde dem 'Tages-Anzeiger‘.
BIT-Sprecher Daniel Wunderlin sagte der Zeitung: "Wir werden die Sperrlisten bei uns in den nächsten Wochen ebenfalls implementieren, obwohl wir keine gesetzliche Verpflichtung dazu haben. Dies, damit wir nicht von der Umsetzung der Internetprovider abhängig sind."
Doch nicht nur bei Bundesämtern hapert es mit der Einrichtung der Netzsperren. Die grossen Anbieter hätten diese zwar umgesetzt, doch über mehrere anderen Provider seien zum Beispiel ausländische Online-Casinos weiterhin zugänglich, so der ‘Tages-Anzeiger’. Fredy Künzler, CEO und Verwaltungsrat des Internetanbieters Init7 und SP-Stadtparlamentarier in Winterthur, erklärte: "Wir haben von den Aufsichtsbehörden bisher keine Verfügung erhalten, wonach wir die Netzsperren umsetzen müssten, also unternehmen wir vorerst auch nichts."
Beschwerden vor Gericht angekündigt
Künzler kritisiert eine "massive Rechtsungleichheit“, weil Schweizer Internetprovider die Netzsperren in ihre DNS-Server implementieren müssten, "während zum Beispiel Google und Cloudflare mit ihren Servern einfach in Ruhe gelassen werden". Er erwäge darum den Gang vor die Richter: "Diese untauglichen Sperrlisten brauchen aus netzpolitischer Sicht eine gerichtliche Beurteilung, und wir überlegen uns deshalb eine Beschwerde."
Die Kritik an den Netzsperren war bereits rund um die Abstimmung zum Geldspielgesetz laut geworden und ist seither nicht verstummt. "Die eigentlichen Ziele, nämlich den Schwarzmarkt einzudämmen und den Spielerschutz zu stärken, werden mit Netzsperren nicht erreicht werden", hiess es damals beim Verband Swico. Die Gegner warnten überdies vor einem Präzedenzfall: Mit den Netzsperren werde weiteren Beschränkungen im Internet Tür und Tor geöffnet.
Netzsperren werden um Monate verzögert
Die Umgehung der Sperren ist ausserdem einfach. So unterstützt zum Beispiel Firefox seit der Version 62 die DNS-Auflösung verschlüsselt über HTTPS (DoH), der Ende Oktober erscheinen soll, eine Test-Implementierung von DoH vornehmen.
Firefox hat zudem in den USA seine Beta-Version des Firefox Private Network gestartet und will damit ein eigenes VPN (Virtual Private Network) lancieren, das den Standort von Benutzern versteckt. Auch mit Hilfe von VPN können Netzsperren mühelos umgangen werden.
Neben den Schwierigkeiten auf technischer Seite bemängelt der auf IT spezialisierte Zürcher Anwalt Martin Steiger auch die Unklarheiten der Verfahren bei möglichen Beschwerden: "Der rechtsstaatliche Ablauf zur Umsetzung dieser Netzsperren ist ungenügend." Die Lotterieaufsicht Comlot erklärte dem ‘Tages-Anzeiger’, sie werde mit fehlbaren Internetprovidern Kontakt aufnehmen "und den Sachverhalt klären". Allerdings haben Provider 30 Tage Zeit, Einsprache zu erheben, die zudem aufschiebende Wirkung hat. Die Anwendung der Netzsperren kann damit noch um mehrere Monate verzögert werden. (paz)

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