Die Stadt Bern setzt für die Verwaltung noch stärker auf Microsoft 365 als bisher. Dies geht aus einer Ausschreibung der Stadtverwaltung hervor, in der ein Dienstleister für die Evaluation gesucht wird. Der Anbieter soll die Stadt beim Aufbau einer Plattform und bei der Ablösung "microsoftfremder" Applikationen im Projekt "Digitaler Arbeitsplatz 4.0" unterstützen. Das System soll auf den neusten technischen Stand gebracht und zugleich besser integriert werden, heisst es in den Ausschreibungsunterlagen.
In Bern hatte man lange mit mehr Open Source (OS) geliebäugelt: 2016 hatte hat der Berner Stadtrat
einen Kredit in Höhe von 843'000 Franken bewilligt, um eine Untersuchung durchführen zu lassen: die "Potenzialanalyse Open Source Software" (POTOSS). 2019 hatte der Abschlussbericht dann aber ergeben, dass ein gänzlicher Umstieg auf OS-Software nicht zweckmässig sei. Die Berner Stadtregierung wolle an ihrem gemischten System festhalten,
hiess es damals. Motivation waren die erhofften Einsparungen von Lizenz-Kosten, die 2019 immerhin 14% des Betriebs der IT-Infrastruktur ausmachten, wenngleich OS-Dienstleister ebenfalls Kosten verursachen.
"Ich bin fast vom Stuhl gefallen"
An einer Stelle in der Ausschreibung heisst es nun: Microsoft-fremde Applikationen sollen, "wo möglich durch funktionsgleiche Applikationen aus dem MS365-Portfolio ersetzt werden". Dazu hatte die Regierung im Juli 2021 einen Investitionskredit von 885'000 Franken beantragt, um eine Microsoft-365-Cloud-Lösung und neue Microsoft-Applikationen aufzubauen. Damals war auch ein Verpflichtungskredit von rund 4,62 Millionen Franken bis 2024 für Lizenzierung und Wartung von Microsoft-Software beantragt worden. Der Stadtrat bewilligte die beiden Anträge der Regierung mit 41 Ja- zu einer Nein-Stimme bei 21 Enthaltungen.
Man erwarte Kosteneinsparungen durch die einheitliche Landschaft, begründete die Regierung ihren Vorschlag im Projekt "Digitaler Arbeitsplatz 4.0". Ausserdem schreibt sie: "Die fehlende Standardisierung führt zu unzusammenhängenden Prozessen, ineffizienten Arbeitspraktiken und basiert auf unterschiedlichen Technologie-Erfahrungen, welche die Leistung und Produktivität der ID-Mitarbeitenden einschränken." Die Abkürzung ID steht für die Informatikdienste der Stadt, die die Infrastruktur und Applikationen der Verwaltung betreiben, aber auch die Volksschulen mit Services unterstützen. Kürzlich war die Schlussbilanz des Desasters des Schul-Projekts "Base4Kids2" veröffentlicht worden. Dort musste unter anderem die Open-Source-Software durch Microsoft Office ausgetauscht werden.
Die Gründe sind umstritten: Es geht um Personalengpässe, die Kompatibilität von Apple-Hardware mit OS-Software sowie um Mängel in der Projektleitung.
Geht der jetzige Entscheid für mehr Microsoft auf "Base4Kids2" zurück? Seit dem Debakel traue man sich im Parlament zumindest nicht mehr, Opposition zum Microsoft-Kurs zu ergreifen, sagt Matthias Stürmer. Der Leiter der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit der Universität Bern hat jahrelang im Stadtparlament für mehr Open Source gekämpft, seit 2 Jahren ist er aber nicht mehr Mitglied. Es sei schockierend, dass sich die Stadt freiwillig in eine noch grössere Abhängigkeit von Microsoft begebe, sagt Stürmer und fügt an: "Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich die Ausschreibungsunterlagen gesehen habe".
Synergien und mehr Sicherheit
Eine ganz andere Antwort auf die Frage, warum man "wo möglich" microsoftfremde Applikationen ersetzen wolle, gibt Eric Tönz, Bereichsleiter der Stabsdienste in der Informatikdirektion. Mit Base4Kids habe der Entscheid nichts zu tun, zudem wolle man auch weiterhin an einem hybriden Ansatz festhalten. Sprich: Open-Source-Anwendungen einsetzen. "In der Zwischenzeit haben verschiedene Sicherheitsanwendungen das Ende ihrer Laufzeit erreicht, und die Stadt Bern will auch hier auf Microsoft-Produkte wechseln. Einerseits um Synergien zu nutzen und andererseits, um bessere Bundle-Preise von Microsoft zu erhalten", begründet Tönz die zusätzlichen Microsoft-Produkte. Abgelöst würden andere proprietäre Applikationen.
Aus der Ausschreibung geht auch hervor, dass die Stadt neue Funktionen wünscht und im Homeoffice mit dem Standard einiges vereinfacht wird. Tönz ergänzt, dass sich die Stadt stärker auf die Cloud ausrichten wolle. Das benötige zusätzliche Security-Systeme, eine Straffung des Applikations-Portfolios und eine Verminderung der Schnittstellen. Das erhofft man sich mit dem vermehrten Einsatz der Microsoft-Palette.
Das umfangreiche Projekt "Digitaler Arbeitsplatz 4.0", in dem die Ziele erreicht werden sollen, wurde in vier Teile gesplittet: Lizenzierung, Adoption, Applikationen und Infrastruktur. Der nun gesuchte Dienstleister soll zusammen mit den städtischen Informatikdiensten eine Strategie erarbeiten und den Aufbau mitgestalten. Der Lizenzierungs-Auftrag ging bereits an das IT-Haus Bechtle Schweiz, das dies nun bis Ende 2024 verantwortet. Spätestens dann muss ein neuer Kredit diskutiert werden.