Die Einwilligung in medizinische Forschung zielt gegenwärtig darauf ab, Forschenden zu bestätigen, dass zu Beginn eines Forschungsprojekts eine Person freiwillig und informiert zugestimmt hat, daran teilzunehmen. Dieser Prozess ist dabei zum einen auf ein einzelnes Forschungsprojekt begrenzt und zum anderen eine kommunikative "Einbahnstrasse". Es ist aufgrund dieser Einwilligung also weder möglich die Daten der teilnehmenden Person für andere Projekte zu nutzen, noch sonst aufgrund der Einwilligungsprozedur an sich eine weitergehende Kommunikation auf- und auszubauen.
Der so genannten "Generalkonsent" soll es erlauben, dass bereits erhobene Daten und Samples aufgrund einer Einwilligung für weitere Projekte genutzt werden können. Er gestattet eine Einwilligung zur Nutzung von Daten und Samples nicht nur für ein bestimmtes Forschungsprojekt, sondern allgemein für Forschungszwecke. Genau hierin liegt aber auch seine Schwäche. Es erfasst immer auch eine Einwilligung in Unbekanntes und Unvorhersehbares. Diese Unüberschaubarkeit des Bereiches in den eingewilligt wird, "erkauft" man quasi mit der reduzierten Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes durch den Einwilligenden.
Das ist unbefriedigend und verlangt nach einer neuen Lösung. Zum einen braucht es digitale Instrumente für eine weitergehende Kommunikation zwischen Forschenden und Probanden. Zum anderen muss das Recht eine Antwort darauf finden, wie man die Möglichkeiten der Digitalisierung zur Gestaltung der Einwilligungs- und Forschungsprozess überhaupt nutzen darf.
An dieser Stelle setzt das Konzept der "dynamischen Einwilligung" an. Dieses will dem Individuum, das seine Daten für die medizinische Forschung freigeben möchte, die Möglichkeit geben, die Einwilligung nicht nur abzugeben, sondern über die Zeit gestalten zu können.
Die dynamische Einwilligung erfüllt nicht nur die gesetzliche Vorgaben eines jederzeitigen und bedingungslosen Widerrufs der Einwilligung. Viel wichtiger ist, dass damit die Rolle des Individuums gestärkt wird, das sich an Forschung beteiligen will. Indem man eine personalisierte Schnittstelle anbietet, wird es diesem möglich, auf geänderte Umstände und unvorhergesehen Verarbeitungszwecke adäquat und selbstbestimmt zu reagieren. Hinzu tritt, dass Kommunikation zwischen Forschenden und Probanden ohne weiteres und in beide Richtungen stattfinden kann. Informationen, die sich auf den Probanden beziehen, erreichen diesen ohne grossen (zusätzlichen) Aufwand.
Dies hat mehrere Vorteile. Erstens böte eine solche Schnittstelle die Möglichkeit, dass man vorhandene medizinische Daten für verschiedene Forschungsprojekte nutzbar machen kann, ohne dass man hier-für auf den Generalkonsent in seiner jetzigen Form angewiesen ist. Zwar kann man bei einer Vielzahl der Nutzer einer solchen Schnittstelle davon ausgehen, dass diese eine (Default-)Einstellung nutzen, die in recht grosszügiger Weise ähnliche Forschungsprojekte gleich behandelt. Besteht allerdings das Anliegen, die Schnittstelle selbstbestimmt, präzise und entsprechend den jeweiligen Nutzerpräferenzen zu gestalten, so gestattet die dynamische Einwilligung eben dies. Sie kann dabei dennoch sicherstellen, dass Daten und Proben nicht umständlich neu erhoben werden müssen, sondern direkt beforscht werden können. Die Ausgestaltung der benötigten Regelungen ist diesbezüglich bereits durch das Gesetz betreffend das elektronische Patientendossier vorgezeichnet, welches eben einen solchen Weg für Behandlungsdaten vorgespurt hat.
Zweitens böte die dynamische Einwilligung als personalisierte Schnittstelle den Vorteil, dass die Forschenden "ihre" Probanden stärker einbeziehen könnten. Das betrifft einerseits allgemein die Information über Ergebnisse und Publikationen. Andererseits aber auch das Einbringen selbst erhobener Daten oder auf das Individuum heruntergebrochene Information. So könnte ein Zufallsfund über die personalisierte Schnittstelle angezeigt und so in die weitere Kommunikation eingetreten werden. Probandengruppen, die für Folgestudien oder weitere Projekte besonders geeignet sind, liessen sich rasch identifizieren und ansprechen. Gerade im Bereich der Versorgungsforschung könnte ein über die Schnittstelle bereits etablierter Kommunikationsweg gewinnbringend weiter genutzt werden.
Zwei mögliche Ansätze
Denkt man das Ganze noch weiter, drängen zwei Ansätze in den Vordergrund. Der erste bezieht sich auf sich in der Schnittstelle akkumulierenden Daten. Es ist zu erwarten, dass sich über die Zeit in den Accounts bisher nicht dagewesene Datensätze etablieren. Aufgrund der Einwilligungspraxis eines Probanden erhält man ein individuelles "(Be)Forschungsprofil". Nicht jede Person wird sich umfangreich an Forschung beteiligen wollen. Aber jene, die sich einbringen und an denen viel und differenziert geforscht wird, erzeugten über ihr Engagement die Möglichkeit eines „vertikalen“ Blicks. Forschungsprojekte zu diesen Daten würden es gestatten, deutlich spezifischere Hypothesen zu prüfen. Die Person selbst gewinnt gleichzeitig die Möglichkeit, Forschungsergebnisse auf ihre unmittelbare Bedeutung für sich prüfen zu können. Eben dies dürfte ein wichtiger Antrieb für weitere Personen sein, ihre Daten ebenfalls auf breiterer Basis zur Verfügung zu stellen, wodurch sich dieser Prozess selbst befruchten würde.
Der zweite sich aufdrängende Ansatz beträfe die Frage, inwieweit man Daten zur Verfügung stellen könnte, ohne dabei jeweils selbst eine Einwilligung abgeben zu müssen und zugleich nicht auf Selbstbestimmung zu verzichten. Letztlich geht es dabei um die Frage, inwieweit man den Rekrutierungsprozess für Humanforschung durch Digitalisierung beschleunigen und erweitern kann und zugleich gewährleistet, dass die dynamische Einwilligung für eine starke Rolle der Probanden steht.
Teil dieser Stärkung könnte auch sein, dass man individuelle Präferenzen darüber erhebt, welcher Art von Forschungsprojekten eine Person grundsätzlich zu- oder abgeneigt ist. Basierend darauf könnte man es – delegiert durch die betroffene Person – einem Automatismus über-lassen, Daten entsprechend dieser Präferenzen Forschenden zur Verfügung zu stellen. Aber auch nicht-technische Kontrollen diesbezüglich liessen sich diskutieren, hier etwa die Freigabe durch Ethikkommissionen.
Gelänge es, über die dynamische Einwilligung die Selbstbestimmung in und durch eine digitale Schnittstelle abzubilden, stünde auch dieser Prozess im Verdacht, die Forschung weitreichend zu verändern.
Risiken und Nebenwirkungen
Wohlgemerkt: Einen dynamischen Einwilligungsprozess bekommt man nicht zum Nulltarif und ohne Risiken. Bereits seine Implementierung wird den Beteiligten einiges abverlangen. Hier sei nur die formale Hürde genannt, die das Humanforschungsgesetz setzt: Dieses geht dem Grundsatz nach von einer schriftlichen Einwilligung aus, was nach traditionellem Verständnis elektronische Unterschriften aus-schliesst. Dies lässt sich rechtlich zwar kritisieren und ist dank neuer technischer Entwicklungen ohnehin in Bewegung, vollständig überwunden ist diese Hürde aber (noch) nicht.
Der Auf- und Ausbau der dynamischen Einwilligung hin zu einer funktionierenden personalisierten Schnittstelle wird zudem weitaus mehr Ressourcen verlangen. Noch mehr als bei medizinischen Daten für Behandlungszwecke ist man für die Verwendung von Daten in der Humanforschung auf das Vertrauen derjenigen angewiesen, die ihre Daten zur Verfügung stellen. Hier mag man zu Recht argumentieren, dass es in der Schweiz über das strafrechtlich geschützte Berufsgeheimnis in der Forschung einen Geheimnisschutz für diesen Bereich gibt, der höher ist als anderswo. Ausreichen wird dies aber nicht. Erst wenn es gelingt aufzuzeigen, dass der Missbrauch von medizinischen Daten zum einen hart sanktioniert – und zwar sowohl die Geheimnisverletzung als auch die Schaffung von Mehrwert oder sonstiger ungerechtfertigter Vorteile durch Nutzung unberechtigt erlangter Daten und zum anderen für die vom Missbrauch betroffene Person eine tatsächliche Möglichkeit zum Erlangen eine Ausgleichs besteht, wird man dieses Vertrauen erzielen.
Will man die Chancen nutzen, die die dynamische Einwilligung bietet, gilt es die diesbezüglichen technischen wie juristischen Voraussetzungen zu schaffen. Ein erster Schritt hierzu wäre das klare Bekenntnis dazu, dass formale Kriterien, die heute vor allem Dokumentationszwecken dienen, abgelöst werden sollten, durch digitale Vorgänge, die es gestatten, Individuen an Prozessen, die sie betreffen, tatsächlich partizipieren zu lassen. Eine dynamische Einwilligung unter diesem Vorzeichen kann Digitalisierung sein, die auf Willkommen und Compliance trifft. (Julian Mausbach)
Über den Autor:
Julian Mausbach ist Oberassistent für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Zürich und Fellow der UZH Digital Society Initiative.
Zu dieser Kolumne:
Unter "DSI Insights" äussern sich regelmässig Forscherinnen und Forscher der "Digital Society Initiative" (DSI) der Universität Zürich. Die DSI fördert die kritische, interdisziplinäre Reflexion und Innovation bezüglich aller Aspekte der Digitalisierung von Wissenschaft und Gesellschaft.