Prantl behauptet: Finger weg von Ausschreibungen

26. Oktober 2020 um 10:34
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IT-Anbieter sollen ihre Nerven schonen und gar nicht erst in Versuchung kommen, an Ausschreibungen teilzunehmen, findet unser Kolumnist.

"Wir arbeiten gratis und sind auch noch stolz darauf", titelte Dennis Lück, Kreativchef bei Jung von Matt in seiner Kolumne . Je länger ich weiterlese, desto bekannter kommen mir seine Ausführungen vor. So oft schon haben mir in den vergangenen Jahren IT- und Softwareunternehmer und ihre Sales-Verantwortlichen ihr eigenes Leid mit Ausschreibungen und Evaluationen geklagt. "Immer wieder stecken wir unendlich viel Arbeit in eine Ausschreibung, um dann im besten Fall den 2. Platz zu gewinnen. Wir getrauen uns gar nicht, unsere Erfolgsquote bei Evaluationen einmal zu analysieren. Wahrscheinlich ist sie desaströs", bekomme ich immer wieder zu hören.
Eigentlich müsste man meinen, dass solchermassen erfahrene ITler künftig von Ausschreibungen die Finger lassen. Doch, weit gefehlt. Eher das Gegenteil ist der Fall. Dennis Lück schreibt dazu in seiner Kolumne treffend: "Aber genauso funktioniert unser System der Ausschreibungen. Wir verschenken uns. Ja, wir freuen uns sogar, wenn eine Einladung zu einer Ausschreibung hereinflattert. Statt zu denken: 'Himmeldonnerwetter, sie getrauen sich tatsächlich, uns zu fragen, ob wir ihnen 4000 Arbeitsstunden schenken?', jubeln wir: 'Juhu, sie fragen uns an, uns – tatsächlich!'. Kurz: Wir fühlen uns geehrt statt vergackeiert."
Diese Reaktion beobachte ich seit Jahren auch bei vielen IT- und Softwareverkäufern. "Hurra, wir haben eine Ausschreibung bekommen", ist meist die erste Reaktion. Je prominenter der potenzielle Kunde, desto grösser die Freude natürlich. Dass die gleiche Anfrage auch noch bei mindestens fünf weiteren Anbietern eingereicht wurde, wird völlig ausgeblendet. Man fühlt sich bereits, als hätte man den Auftrag gewonnen und stürzt sich sofort in die Beantwortung der mindestens 500 Fragen in einer schier endlosen Excelliste.
Dennis Lück stellt in seinem Beitrag aber nicht bloss fest, dass Ausschreibungen gegenüber den Anbietern eigentlich eine Frechheit sind, sondern bringt verdankenswerterweise auch noch gleich einen Vorschlag zur Lösung des Problems. Er meint, dass die Evaluation in zwei Phasen unterteilt werden sollte. In Phase 1 soll der Kunde aufgrund von Referenzprojekten und einer Richtofferte grob selektieren und aus seiner Longlist eine Shortlist machen. Die Arbeit für diese Phase erbringt der Anbieter kostenlos. Für die Phase 2, wo es auch in der IT nicht selten um hochwertige Beratung und um aufwändige Prototypen geht, soll der Kunde aber voll bezahlen.
Dieser Vorschlag ist nicht schlecht. Allerdings gehe ich noch weiter und meine, er ist das absolute Minimum, das ein selbstbewusster Dienstleister in einer Ausschreibung durchsetzen muss. Geht der Kunde, bzw. sein Auswahlberater auf diesen Vorschlag nicht ein, dann sollte der Anbieter von der Ausschreibung die Finger lassen.
Nervenschonender und auch wesentlich effizienter ist es jedoch, als IT-Anbieter konsequent auf Ausschreibungen zu verzichten und erst gar nicht der Versuchung zu erliegen, daran teilzunehmen. Insbesondere gilt das für solche, die zwar schon oft teilgenommen, aber noch nie gewonnen haben. Denn, dahinter liegt ein System.
So zeigt die Erfahrung, dass die späteren Gewinner einer Ausschreibung meist schon von Anfang an so gut wie feststehen. Nicht selten wird die Ausschreibung sogar auf das Angebot des künftigen Gewinners "massgeschneidert", sodass sie kaum von einem anderen gewonnen werden kann. Der Beauty-Contest wird dann nur noch aus zwei Gründen veranstaltet. Erstens dient er als Alibi und "Save-my-Ass"-Argument, falls das Projekt später baden gehen sollte, zweitens muss der oftmals zugezogene Auswahlberater für sein Geld ja auch noch etwas zu tun haben.
Läuft also der Auswahlprozess wie erwartet, dann steht der Gewinner bereits im Raum. Bloss für den Fall, dass der Auserwählte im Prozess offenkundig versagt, oder sich der Prozess sonstwie verselbstständigt, haben die anderen Teilnehmer überhaupt noch eine Chance. Ich schätze mal, das trifft auf deutlich weniger als fünf Prozent der Fälle zu. Und diese verbleibenden fünf Prozent verteilen sich dann auf alle verbleibenden Anbieter, was in Ergebnis bei einer Gewinnchance von vielleicht noch einem Prozent endet. Dafür würde ich nicht mehr antreten und erst recht nicht tage- oder wochenweise Aufwand auf die eigene Kappe nehmen wollen.
Selbstverständlich ist mir bewusst, dass es Kunden, Branchen (vor allem öffentliche Verwaltung etc.) und Konstellationen gibt, wo in aller Regel kein Auftrag ohne Ausschreibung vergeben wird. Wer da mitspielen will, hat also keine andere Wahl. Er sollte aber – so meine ich – mindesten den Empfehlungen von Dennis Lück folgen oder – besser – sich gleich einen anderen Markt suchen.
Urs Prantl war über 20 Jahre Softwareunternehmer. Seit 2012 begleitet er IT- und Software-Unternehmen auf ihrem Weg zu nachhaltig gesundem Wachstum und ist als M&A-Transaktionsberater in Nachfolgesituationen tätig. Er äussert als Kolumnist für inside-channels.ch seine persönliche Meinung.

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