Ich beobachte bei IT-Dienstleistern und Softwareunternehmen oft folgendes.
Auch wer insgesamt viele hundert Kunden betreut und damit zahlenmässig so viele, dass sich die Mitarbeitenden unmöglich ständig eins-zu-eins um jeden davon kümmern können, ist dennoch darum bemüht, jeden Sonderwunsch zu erfüllen. Getrieben durch eine diffuse Angst vor Kundenverlust, durch ein falsches Verständnis von "König Kunde" oder dem gutschweizerischen Hang zur totalen Individualität herrscht der vermeintliche Druck, laufend jedem Kundenfurz nachgeben zu müssen.
Was zur Folge hat, dass die im Markt durchaus erwünschte Komplexität in die eigene Firma transportiert wird und damit die Organisation und die Prozesse ebenfalls an (meist) unnötiger Komplexität massiv zunehmen. Nicht selten wird das sichtbar durch eine starke Zunahme an Bürokratie, d.h. an Verwaltung und internen Meetings, die weder den Kunden noch sonst jemandem wirklich dienen und gleichzeitig keinerlei Wertschöpfung generieren.
Mit dem Ergebnis, dass die Kosten überproportional steigen, der Stress- und Frustlevel ebenso und, dass sich damit verbunden die Profitabilität – konkret die Ebit-Marge – in einen einstelligen Prozentbereich verabschiedet. Dabei haben gerade Software- und IT-Unternehmen das Potenzial, aufgrund ihrer Produkte und Geschäftsmodelle, die sich hervorragend skalieren lassen, robuste zweistellige Margen einzufahren. Und zwar ohne Kunden und Mitarbeitende deswegen auszupressen oder gar über den Tisch ziehen zu müssen. Das ist nicht zuletzt einer der Hauptgründe, warum sich Investoren um gut geführte Unternehmen in der ICT geradezu schlagen.
Unzählige Mitbewerber, ständiger Disruptionsdruck
Im Markt herrscht Komplexität, so weit das Auge reicht: Unzählige Mitbewerber im In- und je länger je mehr auch aus dem Ausland, potenzielle Mitbewerber, die sich einen Markteintritt überlegen, Kunden und Kundinnen mit vielfältigen Bedürfnissen und Wünschen, latent ein ständig vorhandener Disruptionsdruck, Kundenprobleme völlig neu, besser und billiger zu lösen und für IT-Firmen die grossen Technologieprovider wie Microsoft und Konsorten, die ständig neue "bahnbrechende" Produkte auf den Markt werfen, die einer klaren Orientierung auch nicht wirklich dienlich sind. Hohe Komplexität also, welche real stattfindet und von den einzelnen Markt-Playern auch nicht beeinflusst werden kann. Alle müssen damit leben (lernen).
Strategisch macht hohe Komplexität jedoch sehr viel Sinn. Wo Komplexität herrscht, bieten sich immer auch ein weiter Raum für Differenzierung, wenn nicht sogar Alleinstellung im Markt und damit beste Voraussetzungen für ein hochprofitables Nischen- bzw. Spezialisierungsgeschäft. Hohe Komplexität im Markt ist also begrüssenswert und damit gut fürs Geschäft.
Die massgeblichen Stellhebel
Nicht aber für die Leistungserbringung innerhalb der Firmen selbst. Dort sollte gegenteilig ein Höchstmass an Einfachheit herrschen. Sie sollten maximal einfach organisiert und geführt werden. Die dafür massgeblichen Stellhebel sind:
- ein reduziertes, dafür qualitativ maximal gutes Angebot, das nicht jede denkbare Variante abdecken muss, sondern bestenfalls nach der 80-20-Regel nur diejenigen Optionen enthält, die häufig nachgefragt werden. Also beispielsweise Service-Level-Agreements SLAs in zig Varianten mit abgestuften Reaktions- und Lösungszeiten anzubieten, hilft den Kunden wenig, belastet aber die Supportorganisation massiv und kostet damit weit mehr, als potenziell damit Ertrag generiert werden könnte.
- standardisierte Angebote, die nicht immer wieder auf der grünen Wiese neu erfunden und umgesetzt werden müssen.
- gut durchdachte und clever implementierte Prozesse mit entsprechend schlanker Organisation. Hier lohnt es sich, Hirnschmalz und Geld zu investieren, um später effizienter und kostengünstiger produzieren zu können.
- ein hoher Automatisierungsgrad entlang des kompletten Wertschöpfungsprozesses, angefangen bei der Kundengewinnung bis zum Service und Support. Selbstverständlich unterstützt durch IT-Systeme, die dies möglich machen und gleichzeitig Kunden und andere Partner über ein Portal in die Prozesse miteinbinden.
Die Regel lautet also: Die hohe Markt-Komplexität zur eigenen strategischen Differenzierung nutzen und gleichzeitig die Leistungserbringung möglichst einfach, wenig fehleranfällig und damit kostengünstig zu organisieren.
Diese Regel ist allerdings vor allem für solche IT-Unternehmen gedacht, welche sich einer konstanten Nachfrage erfreuen. Dort wirkt der Hebel "Einfachheit" am stärksten. Wer hingegen keine oder zu wenig Nachfrage verzeichnet, der sollte sich erstmal um Marketing und Strategie kümmern. Ohne jedoch in die Falle zu tappen, jeden Kundenfurz erfüllen zu wollen. Sonst passiert automatisch das, was ich hier soeben beschrieben habe.
Urs Prantl kreiert zukunftssichere und gesund wachsende IT-Unternehmen und begleitet ihre Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Unternehmensnachfolge und beim Firmenverkauf. Gleichzeitig ist er Host des Podcasts
Prantls 5A, in welchem die strategische Einzigartigkeit erfolgreicher IT-Unternehmen im Gespräch mit ihren Inhaberinnen und Inhabern im Dialog herausgeschält wird. Als Kolumnist äussert er auf inside-it.ch seine persönliche Meinung.