Prantl behauptet: Painkiller statt Energydrinks

20. Dezember 2024 um 12:00
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Die IT soll zuerst dem Geschäft zuträglich sein. Wenn tolle Features auf dieses Ziel nicht einzahlen, sind sie nutzlos, erklärt Urs Prantl in seiner neusten Kolumne.

Auf meine Frage an Manuel Grenacher im letzten Podcast "KI – Once in a Lifetime-Chance für IT'ler, man muss sie nur packen", wie er in seinem Startup Unique sicherstellt, dass sie ihr Softwareprodukt nicht am Markt und an der Kundennachfrage vorbei entwickeln, meint er trocken: "Wir konzentrieren uns auf Painkiller, nicht auf Energydrinks." Der Unterschied zwischen diesen beiden Perspektiven ist nicht bloss eine Frage der Wortwahl, sondern der kompletten strategischen Ausrichtung – und zwar mit Folgen, die im worst case sogar über Erfolg und Scheitern entscheiden können.
Gerade bei KMU-IT geht es oft darum, mit begrenzten Ressourcen das Maximum zu erreichen. Doch wo setzt man dort an? Bei den glitzernden Zusatzfeatures, die Aufmerksamkeit erregen, oder bei der Lösung der wirklich drängendsten Probleme der Kunden? Auch wenn die Antwort auf der Hand liegt, ihre Umsetzung ist oft alles andere als trivial.

Die Essenz der Painkiller

Painkiller adressieren den grössten Schmerzpunkt der Kunden, das eine Problem, das ihnen den Schlaf raubt. Es geht um den absoluten Fokus auf die wichtigste Baustelle – und nicht um ein Sammelsurium an nicht ganz falschen, aber halt doch oft halbgaren Antworten.
Das Ziel eines Painkillers ist: Ein Produkt, ein Service oder eine Dienstleistung, die EIN zentrales, vitales Problem mit höchster Präzision und Effektivität löst. Der Weg dorthin ist kein Sprint, sondern ein Marathon und führt über intensive Gespräche mit den Zielkunden, ein tiefes Eintauchen in ihre Welt und das kontinuierliche Feilen an der Lösung. "Eng am Kunden" nennt es Grenacher. Gleichzeitig ist es das Fundament echter Innovation.

Fokus durch Nischenstrategie

Die Entwicklung und die laufende Verbesserung von Painkillers erfordert Fokus. Die Konzentration auf EINE Kundengruppe mit ähnlichen Problemen, Bedürfnissen und Wünschen. Diese Nische mag zunächst klein erscheinen, doch sie bietet die Möglichkeit, zur Meisterschaft zu gelangen. Es ist wie im Spitzensport: Nur wer sich spezialisiert und wer tausend Mal trainiert, hat die Chance zu gewinnen.
Doch wie findet man den grössten Pain seiner Kunden?
  • Mit Kunden sprechen: Direkte Gespräche, Interviews und Umfragen sind unverzichtbar. Das erfordert echtes Interesse am Business der Kunden, regelmässigen Austausch und die Bereitschaft, zuzuhören und das Gehörte umzusetzen.
  • In den Schuhen der Kunden laufen: "Beurteile nie einen Menschen, bevor du nicht mindestens einen halben Mond lang seine Mokassins getragen hast". Nur wer sich in die Situation der Kunden hineinversetzt und ihr Business versteht, kann ihre Perspektive und ihren grössten Schmerz erkennen. Und darauf aufbauend, die beste Problemlösung bauen und anbieten.

Die Energydrink-Falle

Im Kontrast zu Painkillern stehen Energydrinks – Features oder Produkte, die vielleicht attraktiv aussehen, aber keinen echten Bedarf decken. Sie sind "Nice to haves" – der Auswahlberater Roger Busch nennt sie "Firlefanz", die letzten 5 bis 10% einer Optimierung. Oft handelt es sich um technische Spielereien, die schick wirken, aber keine realen Probleme lösen.
Warum sind Energydrinks so verlockend? Sie versprechen schnelle Erfolge und lassen sich leichter vermarkten. Doch die Nachfrage nach solchen Lösungen ist meist klein. Kunden können ohne sie problemlos leben.

Selbsttäuschung als grösste Gefahr

Die grösste Gefahr auf der Suche nach dem Painkiller ist die Selbsttäuschung. Es ist verlockend zu glauben, man wisse bereits, was der grösste Schmerz seiner Kunden ist. Doch diese Einschätzung basiert oft auf Einzelfall-Evidenz oder blossen Meinungen (ich nenne es mal Stammtisch-Wissenschaft) – und nicht auf einer repräsentativen Analyse. Hinzu kommt die Gefahr, dass man den Weg zur Lösung nicht konsequent zu Ende geht. Eine Teil- oder Scheinlösung mag kurzfristig attraktiv erscheinen, doch sie hinterlässt langfristig bloss halbzufriedene Kunden.

Conclusio: Die Strategie der Schmerztherapie

Erfolg entsteht durch Fokus. Wer sind meine Kunden, und was ist ihr grösster Pain? Diese Fragen müssen mit höchster Präzision beantwortet werden. Die Problemlösung muss dann in enger Zusammenarbeit mit den Kunden entwickelt und stetig verbessert werden.
Painkiller statt Energydrinks – das ist nicht nur ein Motto, sondern ein Manifest für nachhaltigen Erfolg. Denn während Energydrinks nur kurzzeitig Energie spenden, bieten Painkiller echte Linderung. Und genau das ist es, was Kunden suchen, wofür sie gerne bezahlen und was IT- und Softwareunternehmen langfristig erfolgreich macht.
Urs Prantl kreiert zukunftssichere und gesund wachsende IT-Unternehmen und begleitet ihre Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Unternehmensnachfolge und beim Firmenverkauf. Gleichzeitig ist er Host des Podcasts Prantls 5A, in welchem die strategische Einzigartigkeit erfolgreicher IT-Unternehmen im Gespräch mit ihren Inhaberinnen und Inhabern im Dialog herausgeschält wird. Als Kolumnist äussert er auf inside-it.ch seine persönliche Meinung.

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