Die SBB wollen ein neues Messsystem für Kundenfrequenzen beschaffen. Die Ausschreibung dazu hat für viele Schlagzeilen gesorgt. An Bahnhöfen sollen Überwachungskameras mit Gesichtserkennung installiert, das Verhalten von Kunden gemessen und ausgewertet werden, hiess es. Der Bahnbetrieb stellte in mehreren Blogbeiträgen und gegenüber inside-it.ch klar, dass keine Gesichtserkennung zum Einsatz kommen soll.
"Gesichtserkennung setzt die SBB weder heute noch in Zukunft ein. Auch erhebt sie keine biometrischen Daten", schreibt das Unternehmen in einem neu publizierten Q&A. Die Daten werden anonymisiert erhoben und es sei unmöglich, sie im Nachhinein zu deanonymisieren. Man wolle die Passagierflüsse erheben, aber nicht Bewegungen einzelner Personen. Anders als bei der Videoüberwachung würden bei der Kundenfrequenz-Messung keine Bilder erfasst, führt die SBB aus.
Das Thema sorgt aber für Diskussionen, so auch in Schaffhausen. Dort befindet sich der erste Bahnhof, der mit
dem neuen System, "KFMS 2.0", ausgestattet werden soll. Die beiden Parlamentarier Thomas Weber (SP) und Christoph Hak (GLP) haben sich deshalb mit "Kleinen Anfragen" an den Stadtrat gewandt, berichten die 'Schaffhauser Nachrichten'. "Unabhängig der datenschutzrechtlichen Beurteilung des Vorhabens der SBB beschäftigt diese Art der Überwachung die Bevölkerung sehr und ist im Sinne des Daten- und Persönlichkeitsschutzes hochgradig kritisch zu werten", schreibt Weber in seiner Anfrage. Er und Hak kritisieren ausserdem, dass für das System auch die Cloud von Microsoft genutzt werde.
Bahnhof als öffentlicher Raum?
Ein weiterer Kritikpunkt ist gemäss dem Zeitungsbericht, dass der Bahnhof Schaffhausen auch eine zentrale Fussgängerverbindung zwischen der Altstadt und weiteren Stadtquartieren darstelle. Damit würden nicht nur SBB-Passagiere vom System erfasst, sondern auch weitere Passantinnen und Passanten. Die beiden Politiker wollen deshalb wissen, ob der Stadtrat von der SBB über die Pläne informiert wurde und wie er "gedenkt, die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt zu schützen, dass sie nicht auch ausserhalb des Areals, welches den SBB gehört, erfasst und registriert werden".
Mit einer ähnlichen Frage soll sich auch der Bundesrat beschäftigen. Nationalrätin Judith Bellaiche hat eine entsprechende Interpellation eingereicht. Aufgrund einer Datenschutzfolgeabschätzung sollte eine datenschutzkonforme Umsetzung der Kundenfrequenzmessung tatsächlich umsetzbar sein, schreibt sie. In Bezug auf Angemessenheit und Transparenz dieses Vorhabens gebe es aber offene Fragen, "zumal Bahnhöfe eine öffentliche Funktion erfüllen und man sich als Reisende der Datenerhebung nicht entziehen kann".
Diskussion um Transparenz und ethische Grundsätze
Sie will deshalb vom Bundesrat wissen, ob er SBB-Bahnhöfe dem öffentlichen Raum gleichgestellt. Dies würde bedeuten, dass es erhöhte Anforderungen betreffend der Datensparsamkeit bei Datenerhebung und Datenverarbeitung gibt. Ausserdem fragt sie nach der Angemessenheit und Verhältnismässigkeit: Inwiefern steht die kommerzielle Notwendigkeit dem Recht des Einzelnen auf Privatsphäre gegenüber?
Wie uns Bellaiche erklärt, geht es ihr um Transparenz, Angemessenheit und ethische Grundsätze im öffentlichen Raum. Es sei wichtig, dass solche Diskussionen ohne Empörung geführt werden können. Sie bittet den Bundesrat in der Interpellation deshalb auch um eine Erklärung seiner Strategie respektive den ethischen Grundsätzen, denen er folgt, wenn es um die Erhebung und Verarbeitung von biometrischen Daten auf öffentlichem Grund zu kommerziellen Zwecken geht.
Keine Rückschlüsse auf Einzelpersonen
Für Unmut sorgte auch, dass die SBB mit dem System beispielsweise Alter, Geschlecht, Grösse oder Gepäck erfassen wollen. Es gebe auf dem Markt Technologien, die Bewegungsmuster und Körpergrössen erkennen und über eine Mustererkennung rein mit statistischen Methoden das Geschlecht und das Alter schätzen können, schreiben die SBB im Q&A. Dies sei in der Ausschreibung als Option ausgewiesen. Rückschlüsse auf Einzelpersonen dürfen auch dann nicht möglich sein, betont das Unternehmen.
Der Nationalrätin stellt sich dennoch die Frage: "Inwiefern sind Geschlecht, Alter und Grösse relevant für die Messung von Kundenfrequenzen?"
Im Q&A der SBB heisst es dazu, dass man bereits heute die Anzahl der Personen beim Ein- und Ausgang und zum Teil auch im Bahnhof misst. Künftig soll es vermehrt möglich sein, optional auch differenziert nach Kundensegmenten zu filtern. "Zum Beispiel, wie sich Reisende mit Velos oder Skis bewegen, oder ob viele Leute einen Halt beim Kiosk machen, bevor sie zum Perron gehen."