Vor 25 Jahren wurde im Zuge einer Liberalisierungswelle die Firma Swisscom gegründet, die als privatrechtliches Unternehmen das ehemalige Fernmeldegeschäft der PTT übernahm. Hauptaktionär ist bis heute der Bund, obwohl später die vollständige Privatisierung forciert worden war. Mittlerweile hat sich der Konzern vom Fernmeldegeschäft ausgehend längst zum IT-Konzern ausdifferenziert. Wie Swisscom dies geschafft hat, berichten
drei ehemalige und der aktuelle CEO für unsere Artikelreihe.Doch wir wollten auch wissen, wie die Liberalisierung im Serverraum und der IT-Abteilung erlebt wurde. Einer, der lange dabei war, ist Rudolf Alther. Der 78-Jährige arbeitete von 1979 bis zu seiner Pensionierung 2000 in der Informatik der PTT und Swisscom. Wir haben mit ihm über die Anfänge und den Umbruch gesprochen.
Herr Alther, Sie begannen ihre Karriere im elektronischen Rechenzentrum (ERZ) der PTT. Wie muss man sich die Arbeit im Datacenter der 1970er vorstellen?
Das ERZ zählte etwa 300 bis 400 Mitarbeitende. Ich war mit zwei Arbeitskollegen für den Ausbau und die Erneuerung des "Maschinenparks" zuständig. Jedem von uns standen eine mechanische Schreibmaschine, ein Telefon und eine umfangreiche Geräte-Bibliothek zur Verfügung. Unsere Computer wie auch die Peripherie stammten ausschliesslich von IBM.
Was waren ihre Aufgaben?
Ich war mit einem Kollegen für die Beschaffung der Zentraleinheiten und der Peripheriegeräte wie Konsolen, Drucker, Bandstationen, Disks und für Notstrom verantwortlich. Vorerst beschafften wir alles von IBM, mit der Zeit konnten wir auch Konkurrenten berücksichtigen, die mit dem US-Hersteller kompatibel waren, oder wir kauften auf dem Occasionsmarkt.
Ich erstellte schriftliche Anträge für die benötigten Geräte und gab sie zur Visierung in der Hierarchie nach oben. Kurz vor der Anlieferung verfasste ich ein Drehbuch für die Installation und die Übergabe an den Betrieb. Die beschafften Geräte wurden dann durch Techniker des Lieferanten installiert.
Damals standen komplexe Grossrechner, sogenannte Mainframes, im Zentrum.
Das Wachstum der Mainframe-Informatik war extrem. 1979 betrieben wir im Schichtbetrieb zwei Maschinensäle, dann bauten wir einen dritten, um kurz darauf ein neues Gebäude mit einem vierten Saal zu beziehen. Wir mussten dafür in kurzer Zeit Zentraleinheiten, Peripheriegeräte, Batterien und Notstromdiesel für mehrere Millionen beschaffen.
Wie viele Kunden betreuten Sie aus dem ERZ?
Wir kümmerten uns um den Aufbau und den Unterhalt des schweizweiten Netzwerks der 11 Post- und 17 Telecom-Direktionen sowie der Generaldirektion. Total waren zu dieser Zeit permanent mehr als 3000 Bildschirme und andere Endgeräte mit unseren Grossrechnern in Bern verbunden.
Bis Mitte 1989 arbeitete ich im ERZ und stieg auf der Karriereleiter vom Sachbearbeiter zum Gruppenleiter von knapp 20 Spezialisten auf. Anschliessend verliess ich das ERZ in Richtung Telecom-Departement. Ich wollte noch besser verstehen, wie die Netze der Telefonie funktionieren und in einem neuen Umfeld arbeiten. Ich übernahm eine Gruppe von 6 Mitarbeitenden, die sich um den Betrieb des Telex-Netzes und den Aufbau des rein digitalen X.25-Netzes kümmerten.
Wurde damals schon von der Abspaltung des Fernmeldebereichs gesprochen?
Telex und X.25 gehörten zu den "Value-added"-Services. Die Politik beabsichtigte, diese so rasch wie möglich abzuspalten. Die PTT reagierte auf die Absichten der Politik bereits 1993 und baute gemeinsam mit den Telcos von Schweden, Holland und Spanien die Firma Unisource Business Networks (UBN) auf. Das Hauptquartier befand sich in Amsterdam neben dem Flugplatz Schiphol.
Wechselten sie zu UBN?
Anfangs 1994 wurden alle Mitarbeitenden im Bereich der "Value-added"-Dienste vor die Wahl gestellt: Entweder bei der Telecom bleiben, aber in einem unbekannten Umfeld, oder unter einem neuen Vertrag zu UBN wechseln. Ich entschied mich für zweiteres, da ich mir spannende Herausforderungen erhoffte. Mit dem Wechsel erhielt ich einmal mehr ein völlig neues Aufgabengebiet und war nun wieder als "Einzelkämpfer" in der Schweiz als Produktmanager für X.25 und IBM Systems Network Architecture verantwortlich.
Dieselbe Produktmanagerfunktion gab es innerhalb der UBN auch in Stockholm, Amsterdam und Madrid; wir tauschten uns in Meetings vor Ort oder mittels Mail über Weiterentwicklungen aus. Ich hielt zudem informell die Kontakte zu meinen ehemaligen Kollegen im ERZ aufrecht. So konnte ich Weiterentwicklungen bei IBM in meine Arbeit einfliessen lassen.
Wie lange machten Sie das?
Im Herbst 1995 entschied die UBN-Konzernleitung in Amsterdam, dass alle Ländergesellschaften ein Qualitätsmanagement-System nach ISO 9000 aufbauen sollen – in der Schweiz wurde ich zur Unterstützung beigezogen; meine bisherigen Arbeiten am Produktmanagement übernahmen meine Kollegen. Im Sommer 1996 liessen wir unsere Arbeiten durch ein externes Büro beurteilen. Das Resultat des Voraudits stimmte uns zuversichtlich. Dann kam der Hammer: Im Oktober erhielt ich morgens um 7 Uhr die Kündigung. Ich sei für die Firma UBN zu teuer, wurde mir beschieden.
Telco-Report: 25 Jahre Liberalisierung
Im Oktober 1998 wurde der Telekommarkt liberalisiert. In dieser Zeit sind nicht nur neue Unternehmen entstanden (und wieder verschwunden), sondern der aus der PTT hervorgegangene Telco Swisscom hat sich zum grössten IT-Arbeitgeber der Schweiz entwickelt. Aus diesem Anlass begleiten wir das Jubiläum in einer vierteiligen Serie:
Das war gut ein Jahr vor der Swisscom-Gründung, was geschah damals bei der PTT?
Das dritte Departement neben Post und Fernmeldedienst verschwand aus der Organisation, diverse Dienstleistungen wurden aufgegeben, so etwa der Bibliotheksdienst. Dieser besass nicht nur eine umfangreiche Sammlung von technischen Sachbüchern, man konnte auch periodisch erscheinende Publikationen für den dienstlichen Gebrauch abonnieren. Der für die beiden "produktiven" Departemente arbeitende Personaldienst wie auch die Finanzabteilung wurden zwischen Telecom und Post aufgeteilt.
Sie wurden dann wieder angestellt.
Ja, am 1. Januar 1997 war mein erster Arbeitstag in der Telecom Informatik. Diese bestand aus dem ERZ und der Informatik aus dem Telecom-Departement – insgesamt über 1000 Personen. Ich wurde vom ehemaligen ERZ-Chef als Verantwortlicher für das Qualitätsmanagement eingestellt und konnte an meine vorherigen Arbeiten bei UBN anknüpfen. Als Mitglied eines 10-köpfigen Teams und mit externer Unterstützung sollte ich den Informatikbetrieb zur ISO 9000 Zertifizierung führen. Das gelang uns im Jahr 1998; alle Mitarbeitenden der zertifizierten Organisationseinheiten erhielten jeweils eine Prämie von 1000 Franken.
Welche IT-Projekte standen sonst bei der Aufspaltung an?
Nach der organisatorischen Zusammenlegung der zwei völlig verschieden geführten Mainframe-Rechenzentren von Fribourg und Ostermundigen, blieben auch noch die diversen Serverstandorte betrieblich zu integrieren und im entwickelten ISO 9000 Managementsystem abzubilden.
Grosse Anstrengungen waren auch im Hinblick auf den kommenden Jahrtausendwechsel notwendig. Jedes Anwenderprogramm und alle relevanten Betriebssystem-Komponenten waren zu untersuchen, ob die Datumsroutinen den Jahreswechsel von 1999 nach 2000 richtig verarbeiten.
Zudem musste unser bis anhin zwischen Post und Telecom schweizweit gemeinsam genutztes Intranet auseinanderdividiert werden. Bei dieser Entflechtung waren nicht zuletzt auch Sicherheitsaspekte relevant. Es gab diverse Konflikte: Wem gehörte überhaupt die Hardware? Es wurde mit harten Bandagen um Gateways ins Internet und um IP-Adressräume gekämpft. Die Entflechtung war bei meiner Pensionierung im Jahr 2000 immer noch nicht vollständig abgeschlossen.
Haben sich die Konzernstrukturen mit der Liberalisierung verändert?
Zu Beginn meiner PTT-Karriere war ich überrascht, mit welcher Akribie sich einzelne Mitarbeitende an den internen Reglementen orientierten. Das waren aber meistens Personen, die aus einem Monopolberuf wie dem Postbeamten in die Informatik gerutscht waren. Leute mit Erfahrungen aus der Privatwirtschaft besassen einen lockereren Umgang mit all den Vorschriften. Nach der Auftrennung in Post und Telecom wurden die Reglemente dann grössten Teils in die Archive verbannt.
Die PTT war nicht nur durchreglementiert, sondern auch sehr hierarchisch aufgebaut.
Ja, das behagte nicht allen Mitarbeitenden. Mir halfen die Strukturen aber, da ersichtlich war, wer wofür zuständig ist. Und die starre Struktur wurde durch die vielen Projektorganisationen übersteuert: Jede Person war zwar in einer Linie – also in einer Hierarchie – eingebettet, sollte aber gleichzeitig Projektleitungen zudienen. Begehrte Mitarbeitende mit Fachwissen mussten also sehr flexibel sein.
Das klingt anstrengend. Gab es sonst Ärgernisse?
Die 11 Post- und die 17 Telecom-Direktionen wurden zum Teil von "kleinen Königen" geleitet. Sie spielten ihre Macht gegen die Generaldirektion aus und verweigerten teils die Projektmitarbeit. Erst wenn der Departements-Vorsteher ein Machtwort sprach, änderte sich dies. Obstruktion war gängig, um die eigene Macht zu demonstrieren.
Was änderte sich sonst noch mit dem Übergang zur Swisscom?
In diversen Reorganisationen wurde versucht, schlankere Strukturen zu schaffen, die sich am Markt orientierten. Flachere Hierarchien waren bei jeder Reorganisation ein Ziel, vieles blieb aber Wunschdenken.
Die Anforderungen an die Mitarbeitenden wurden aber auch angepasst?
Neue Mitarbeitende wurden nicht mehr als Beamte angestellt. Das Gehalt richtete sich nicht mehr nach Alter und Dienstjahren, sondern nach den Fähigkeiten. Und der Lohn wurde nicht mehr gemäss einer starren Skala, sondern ebenfalls nach Ausbildung, Fähigkeiten und Marktumfeld festgelegt. Es wurden zudem viele Schulabgänger rekrutiert, damit sich Swisscom gegen aussen als ein junges, dynamisches Unternehmen positionieren konnte.
Wie beurteilen sie heute die Transformation?
Die PTT hat zu ihrer Zeit und mit ihren Möglichkeiten hervorragende Arbeit geleistet. Swisscom wäre ohne ihre Vorarbeiten nicht da, wo sie heute steht. Auch bald 30 Jahre nach der Liberalisierung behauptet das Unternehmen sich noch immer als Marktführer im hart umkämpften schweizerischen Markt. Es leistet in der Grundversorgung hervorragende Dienstleistungen in allen Regionen und bei Innovationen im Nischengeschäft erobert sich Swisscom ebenfalls einen ansehnlichen Teil des Marktes.
Was halten Sie von einer vollständigen Privatisierung von Swisscom?
Nichts! Die Swisscom erbringt tadellose Dienstleistungen zu marktüblichen Preisen im Rahmen der Grundversorgung. Es mag Dienstleistungen geben, die nicht zum "Service Public" gehören. Solange Swisscom damit aber ihre Mitarbeitenden finanziert und sich am Markt erfolgreich durchsetzt, finde ich dies legitim.
Ich will vor allem keine vollständige Liberalisierung, weil sämtliche vorhandene Infrastruktur – von den Zentralen und Kabeln bis zu den Antennen und Satellitenbodenstationen – Eigentum der schweizerischen Wohnbevölkerung ist. Mehrere Generationen von Mitarbeitenden setzten sich für deren Aufbau und Unterhalt ein. Als die PTT noch ein Monopolist war, halfen auch alle Kunden mit, das "Volksvermögen" aufzubauen, damals konnten sie ihren Dienstleistungsanbieter schliesslich nicht wählen.
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