Vogt am Freitag: Dear Mark Zuckerberg

9. Februar 2024 um 13:15
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Facebook mag offenbar keine Kritik am eigenen Unternehmen. Das ist legitim, das geht anderen auch so. Der Umgang damit ist aber bemerkenswert. Ein offener Brief an Mark Zuckerberg.

Lieber Mark Zuckerberg,
Zunächst wünsche ich dir noch mal alles Gute zum 20-Jährigen. In den USA gilt deine Plattform damit noch nicht als volljährig, in vielen anderen Teilen der Erde hingegen schon. Ich finde: Es wird langsam Zeit, sich erwachsen zu verhalten.
Du weisst grad nicht, worum es geht? Das ist verständlich. Als fünftreichster Mensch dieses Planeten hast du sicher allerhand zu tun. Also: Letzte Woche schrieb ich einen kurzen und – wie ich finde – harmlosen Text zum 20. Geburtstag von Facebook. Nur war es halt kein Jubeltext, sondern hat auch die negativen Seiten thematisiert. Zum Beispiel, dass du die Idee zu Facebook vielleicht geklaut hattest und dass es das eine oder andere Datenskandälchen gab. Das kannst du hier nachlesen, wenn du magst. Aber du weisst ja eh schon alles.
Danach, und jetzt kommen wir zum Kern der Angelegenheit, veröffentlichte ich den Text auf inside-it.ch, den Link zum Artikel auf verschiedenen sozialen Netzwerken: Linkedin, Twitter, Mastodon, Bluesky und eben Facebook. Dann ist etwas passiert, was ich bislang noch nie erlebte: Unser Facebook-Posting wurde von einem Algorithmus oder deinem (unterbezahlten) Content-Überwachungsteam herausgefischt und gesperrt. Er verstosse gegen die "Gemeinschaftsstandards gegen Spam". Menschen bei Facebook sollen sich "sicher, respektiert und willkommen" fühlen.
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Screenshot Facebook
Und du denkst also, dass sich deine Nutzerinnen und Nutzer unwohl und nicht willkommen fühlen, wenn sie einen kritischen Beitrag über Facebook lesen? Deswegen beschneidest du Presse- und Meinungsfreiheit? Ernsthaft, lieber Mark Zuckerberg, ich halte das für ein No-Go. Ganz speziell angesichts der Tatsache, dass deine Plattform viel zu wenig gegen Hassrede, Mobbing, Propaganda, Fakenews und Diskriminierung unternimmt.
Darüber hinaus drohst du mir respektive Inside IT, "beim nächsten Verstoss die Seite möglicherweise einzuschränken oder zu deaktivieren". Das ist nicht nur schlechter Stil, sondern antidemokratisch und erinnert an Regimes wie Nordkorea oder China, in denen Kritik am Chef auch nicht geduldet wird.
Das soll nicht heissen, dass ich für die Abschaffung aller Contentmoderationen bin, wie das dein Kollege Elon Musk beim Netzwerk X – "formerly known as Twitter" – propagiert. Im Gegenteil: Ich bin ein absoluter Befürworter von Plattform-Regulierung. Rassistische, diskriminierende, diffamierende Beiträge haben weder bei dir noch auf anderen sozialen Netzwerken etwas verloren.
Du magst jetzt einwerfen: "Ja, aber wer definiert denn, was rassistisch, diskriminierend oder diffamierend ist? Du etwa?" Nein, das definiere nicht ich. Das definieren in den jeweiligen Ländern gültige Gesetze und Strafnormen. Ich weiss, dass die Contentmoderation so mega aufwendig und teuer wird. Aber, mit Verlaub, du verdienst mit den Daten deiner Userinnen und User einen irrsinnigen Haufen Geld. Also sorge gefälligst auch dafür, dass sie sich wohl fühlen und dass es ihnen gut geht.
Darüber hinaus ist es mir auch bewusst, dass es passieren kann, dass etwas zu viel geblockt wird: Klar, lieber Mark Zuckerberg, dafür habe ich Verständnis. Für diesen Fall gibts ja die Möglichkeit, als Urheber von besagten Postings Einsprache gegen die Sperrung zu erheben. Theoretisch.
So haben auch wir diese Möglichkeit, aber eben: nur theoretisch. Als ich mich bei dir beschweren wollte, war der Beitrag verschwunden. Gelöscht. So, als wäre er nie gepostet worden. Deshalb beschwere ich mich nun auf diesem Weg, dear Zuck. Nicht in der Hoffnung, dass du das liest, zwar. Sondern vielmehr in der Hoffnung, dass viele Menschen über die Unterschiede zwischen der Zensur von Kritik an einem Unternehmen und einem offensichtlich rassistischen Posting nachdenken. Und erkennen, weshalb die Löschung meines kritischen Artikels ein Argument für und nicht gegen die Regulierung von Plattformen ist.
Best wishes,
Reto Vogt
Chefredaktor Inside IT

Inside IT in anderen Medien

Der 'Sonntagsblick' berichtete am 11. Februar 2024 über das gelöschte Facebook-Posting. Gleichentags griffen auch 'Persönlich' und 'Klein Report' die Geschichte auf. Berichtet haben ebenfalls der 'Landbote' und der 'Beobachter'.
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