Auch vor dem Bewerbungsprozess macht der KI-Boom keinen Halt. Wir haben uns bei grossen Schweizer Arbeitgebern umgehört.
Künstliche Intelligenz nimmt immer mehr Einzug in unser Leben. Der Sprachassistent ersetzt die Einkaufsliste, Reisen oder Ernährungspläne können per Mausklick organisiert werden und Fragen an Unternehmen werden ganz selbstverständlich vom Chatbot beantwortet. Auch im Arbeitsalltag gibt es immer mehr Anwendungsfälle, bei denen KI den Menschen Arbeit abnimmt.
So können etwa Codes auf Fehler oder Schwachstellen untersucht, Bilder für Artikel generiert oder Texte in andere Sprachen übersetzt werden. Die Bankberaterin kann sich bei der Vergabe von Krediten unterstützen lassen, die HR-Abteilung bei der Suche nach den besten Mitarbeitenden.
Gerade der oft langwierige und zeitaufwändige Rekrutierungsprozess bietet da eine willkommene Gelegenheit, um sich Arbeit von der Künstlichen Intelligenz abnehmen zu lassen. Sei es das Durchforsten von Lebensläufen oder das Verfassen von effektiven Stellenbeschreibungen.
Einsatz in der Schweiz
Wir haben bei zahlreichen grossen Schweizer Arbeitgebern nachgefragt, ob und wie sie Künstliche Intelligenz bei ihren Rekrutierungsprozessen einsetzen. Swisscom, Coop und Nestle verneinen den Einsatz von KI. Die Post schreibt, dass sie aktuell keine Künstliche Intelligenz für die Selektion von neuen Mitarbeitenden einsetze. Derzeit würden nur technologische Hilfsmittel wie ein Bewerbermanagementsystem zum Einsatz kommen.
Generell ausgeschlossen wird die Technologie bei der Post nicht. Das Thema werde immer wichtiger, heisst es auf unsere Anfrage. Derzeit befindet sich beim Gelben Riesen ein Projekt im Bereich KI-unterstütztes Screening in der Konzeptphase. Dabei sei es der Post ein Anliegen, dass KI basierte Verfahren sorgfältig geprüft und verantwortungsvoll eingesetzt werden.
KI im Rekrutierungsprozess steckt gemäss der Post noch in der Anfangsphase. Gerade bei der Persönlichkeitsbewertung gibt es seitens Wissenschaft noch grosse Vorbehalte. Am weitesten fortgeschritten sind Screening- und Matching-Funktionen. Diese könnten in Zukunft auch bei der Post zum Einsatz kommen, sollte sich das Projekt als Erfolg herausstellen.
Gleichzeitig hält das Unternehmen aber auch fest: "KI wird bei der Post auch in Zukunft ein unterstützendes Element bilden, aber keine Rekrutierungsentscheide fällen. Die Technologie soll nur dann eingesetzt werden, wenn sie uns einen klaren Mehrwert bringt und mit unseren Rekrutierungsgrundsätzen vereinbar sind."
KI beim SBB-Recruiting
Auch die Schweizerischen Bundesbahnen betonen, dass sämtliche Bewerbungen von einem Menschen angeschaut und beurteilt werden. Die einzige Ausnahme würden Klassenrekrutierungen bilden, wo bestimmte Mindestanforderungen eingehalten werden müssen, die teilweise auch vom Bundesamt für Verkehr vorgeschrieben werden. Mit einem Fragenkatalog wird dabei eruiert, ob Bewerber die Mindestkriterien erfüllen. Trifft dies nicht zu, wird automatisch eine Absage generiert.
Dazu setzen die SBB KI ein, um vielversprechende Kandidatinnen zu finden, die bereits einen Selektionsprozess durchlaufen haben, aber die gewünschte Stelle knapp nicht erhalten haben. Damit könne das Unternehmen schneller erkennen, ob solche Kandidaten für eine neue offene Stelle in Frage kommen und können sie auf diese aufmerksam machen.
Chatbot für die Lehrstellensuche
Wie die Post setzt auch Migros auf ein Bewerbermanagement-Tool. "Dieses enthält aber keine KI-basierten Wertungen oder Klassifizierungen", schreibt der Detailhändler auf unsere Anfrage. Es würde einzig der Prozessoptimierung dienen. Auch seien keine Technologien für die Analyse von Video-Interviews oder zum Abgleich von Keywords aus Lebensläufen und Stelleninseraten im Einsatz.
Teilweise werden jedoch zeitversetzte Video-Interviews geführt, die aber in keiner Weise Mimik, Gestik oder Stimme analysieren würden. Das Format soll lediglich eine zusätzliche Chance sein, sich präsentieren zu können. Als einziges KI-Tool in ihrem Rekrutierungsprozess bezeichnet Migros den hauseigenen Chatbot "Mino" für die Lehrstellensuche.
Der Mino-Chatbot von Migros im Einsatz. Video: Youtube
Beim Basler Pharmakonzern Novartis wird ebenfalls auf manuelle Selektion gesetzt. KI wird einzig bei der Suche nach möglichen internen Kandidatinnen und Kandidaten eingesetzt. Basierend auf den Karrierezielen und Erfahrungen der Mitarbeitenden schlägt das System dann qualifizierte Mitarbeitende vor, die eine frei werdende Stelle besetzen könnten. Bei der externen Rekrutierung wird KI laut Novartis jedoch nicht eingesetzt.
KI nimmt Arbeit ab
Ganz anders sieht es beim Personalvermittler Manpower aus. Dort wird Künstliche Intelligenz eingesetzt, um manuelle Aufgaben wie das Versenden von E-Mails, das Bereinigen von Daten und das Verfolgen von Touchpoints zu vereinfachen. Dazu wird die KI-Lösung Mya eingesetzt. Diese unterstützt die Mitarbeitenden bei administrativen und koordinativen Tätigkeiten.
Der Einsatz hat dabei durchaus einen positiven Einfluss auf den täglichen Arbeitsflow. "Durch die Automatisierung der genannten Aufgaben kann der Arbeitsaufwand reduziert werden", heisst es vom Unternehmen. Dadurch verlagere sich der Fokus der Mitarbeitenden verstärkt auf strategische Aspekte sowie auf die Bedürfnisse der Kundschaft und der Bewerbenden.
Als Nachteil nennt der Personalvermittler, dass mit der Anwendung zwar die Kontaktaufnahme schneller erfolgt, dabei aber unpersönlicher bleibt. Auch hier liegen die Entscheidungsprozesse weiterhin bei Menschen. Der zukünftige Einsatz solcher Automatisierungen wird allerdings nicht ausgeschlossen.
Weitere Systeme im Einsatz
Die NGO Algorithmwatch Schweiz hat in einem Artikel eine Aufstellung aufgeführt, die aufzeigt, welche Schweizer Unternehmen ebenfalls KI im Rekrutierungsprozess einsetzen. Während Helsana, UBS, Raiffeisen, Axpo und Unilever den Einsatz verneinen, geht daraus hervor, dass auch der zweite Basler Pharmakonzern Künstliche Intelligenz für Bewerbungsverfahren einsetzt.
Zudem hat die Organisation ein neues Registerveröffentlicht, das einenÜberblick über den KI-Einsatz in der Schweiz zeigt. Im "Atlas der Automatisierung"finden sich weitere Tools, die in der Schweiz eingesetzt werden. Darunter ModernHire, People-Analytix oder HireVue. Algorithmwatch bietet dazu jeweils eine kurze Zusammenfassung zum jeweiligen System und gibt eine Einschätzung dazu ab.
Mehr zu den einzelnen Systemen
International gibt es zahlreiche Produkte, die versprechen, dass sie den Rekrutierungsprozess mit KI vereinfachen können. Ein paar davon haben wir uns genauer angeschaut. Darunter auch die in der Schweiz zum Einsatz kommenden Systeme Mya und HireVue:
Linkedin
Die Social-Media-Plattform Linkedin setzt seit Jahren auf künstliche Intelligenz, um Arbeitssuchende mit Unternehmen in Verbindung zu bringen. Erst im Mai hat das Unternehmen neue KI-Features vorgestellt. Darunter befindet sich auch eine Bewerbungshilfe, die direkt auf Informationen aus der Stellenbeschreibung zugreifen und daraus ein Motivationsschreiben verfassen kann.
Auf der Seite der Arbeitgeber soll die Software als Assistent für routinemässige Aufgaben wie das Verfassen von Stellenbeschreibungen oder Korrespondenzen dienen. Mit dem Tool sollen HR-Verantwortliche mehr Zeit mit Vorstellungsgesprächen verbringen können, statt wiederholende Arbeiten erledigen zu müssen.
Amazon
Amazon steht immer wieder in der Kritik, weil automatisierte Entscheidungssysteme mit Verzerrungen im Bewerbungsprozess eingesetzt werden. Laut einem vertraulichen internen Dokument, arbeitet der Konzern derzeit an einem automatisierten Bewerbungssystem, das die besten Kandidatinnen und Kandidaten herausfiltern soll.
Die Software sucht dazu nach Übereinstimmungen in den Lebensläufen der Bewerber im Vergleich zu aktuellen Mitarbeitenden im Unternehmen, die in der gleichen Position tätig sind. Nachdem die besten Bewerbungen mit Hilfe des KI-Tools identifiziert wurden, werden die Kandidaten dann zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Hired
Hired ist Teil der Adecco-Gruppe, einem der grössten Personalvermittler der Welt. Das Unternehmen bietet eine KI-Plattform an, die Fach- und Verkaufskräfte mit Grossunternehmen zusammenbringt. Die Plattform umfasst weltweit mehr als 10'000 Unternehmen. Durch die Verknüpfung von Daten, darauf basierende Vorschläge und höhere Akzeptanzraten sollen Arbeitgeber Stunden bei der Suche nach potenziellen Bewerbern sparen können.
Phenom
Phenom ist ein HR-Unternehmen aus den USA. Es setzt Künstliche Intelligenz ein, um Aufgaben im Bewerbungsprozess zu automatisieren und Stellenanzeigen zu personalisieren. Die Technologie ermöglicht es Arbeitgebern auch, die richtigen Jobs für ihre Mitarbeitenden zu identifizieren. Dazu gehört, Talente innerhalb ihrer Organisation zu finden und sie zu fördern. Die Software ist in eine Reihe von Stellenbörsen mit einigen der grössten Unternehmen der Welt eingebettet. Das Unternehmen hat über 300 Millionen Nutzerinnen und Nutzer.
HireVue
HireVue bietet eine Video-Automatisierungs-Technologie für Bewerbungsprozesse an. Das Unternehmen verfügt über Daten von über 1 Million Interviews und will damit die am besten geeignete Person für eine freie Stelle vorhersagen können. Die Software ermöglicht es Unternehmen, Videos von Stellensuchenden aufzunehmen, die einen Standardfrage beantworten. Das System nutzt dann KI, um die Antworten zu transkribieren und um festzustellen, ob die befragte Person in die gesuchte Rolle passt.
Mya
Mya Systems ist eine konversationelle KI, mit der der Rekrutierungsprozess von Personalvermittlern und grossen Unternehmen automatisiert werden soll. Neben dem Einstellungs-Chatbot konzentriert sich das Unternehmen auch auf die Integration seiner Plattform in andere Tools, die für das Personalwesen wichtig sind. So können auch CRM-, ATS- und HRIS-Systeme verwendet werden. Die Software ist unter anderem kompatibel mit Bullhorn, Workday und SAP SuccessFactors.