Berner "Base4kids"-Debakel: Die Projekt­organisation war das Haupt­problem

15. März 2022 um 12:30
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Foto: Nicolas Jossi / Unsplash

Fehlende Ressourcen und Know-how führten dazu, dass der IT-Dienstleister faktisch die Projektleitung übernahm, sagt ein ausführlicher Untersuchungs­bericht.

Mit dem 2018 gestarteten Projekt Base4Kids2 wollte die Stadt Bern eine neue Schulsoftware einführen. Der Auftrag für die Umsetzung wurde an Abraxas vergeben.
Schnell zeigte sich, dass im Projekt einiges schief lief. Was schliesslich dazu führte, dass es Ende 2019 komplett neu aufgegleist wurde.
Im März 2021 beauftragte der Stadtrat ein Anwaltsbüro damit, in einer ausführlichen Untersuchung herauszufinden, was genau zu den Problemen im Projekt geführt hatte, und ob bei der Vorbereitung, Ausschreibung, Organisation, Begleitung und Durchführung des Projekts Fehler gemacht wurden.
Der Rechtsanwalt Ueli Friederich kommt nun in seiner Zusammenfassung des 160 Seiten langen Berichts zum klaren Schluss, dass die Probleme weder durch eine mangelhafte Vorbereitung des Projekts noch durch eine fehlerhafte Ausschreibung verursacht wurden. Auch die vertraglichen Regelungen mit Abraxas seien nicht das Problem gewesen, so Friederich. In erster Linie seien die Schwierigkeiten durch die mangelhafte Projektorganisation und die Art und Weise, wie das Projekt abgewickelt wurde, verursacht worden.

Projektorganisation war ein "No-Go"

Zu den Schwierigkeiten in der Projektorganisation wiederum hätten die fehlenden personellen und fachlichen Ressourcen im federführenden Schulamt beigetragen. Die Anforderungen an die Leitung eines derart anspruchsvollen Projekts seien unterschätzt worden. Die "bescheidene ressourcenmässige Ausstattung des Schulamts" sowie der Verzicht auf eine externe, vom Auftragnehmer unabhängige professionelle Projektleitung hätten schliesslich dazu geführt, dass Abraxas de facto die Projektleitung übernahm. Dies, so hält Friederich fest, habe den Vorgaben in der Ausschreibung und der vertraglichen Regelung widersprochen, sei aber "mit Billigung und entsprechend den Erwartungen städtischer Stellen" geschehen.
Dies wiederum führte laut Friederich dazu, dass Abraxas "das Geschehen weitgehend dominierte und nicht zuletzt auch die Information der Schulen prägte, aber auch im Steuerungsausschuss Einsitz nahm und da in Geschäften mitwirkte, die das Verhältnis zwischen der Stadt und Abraxas unmittelbar betrafen." Als Beispiele nennt der Bericht den Rücktritt vom Rahmenvertrag und Diskussionen um umstrittene Kosten für Zusatzleistungen von Abraxas.
Diese Art der Mitwirkung, so betont Friederich in klaren Worten, müsse bereits unter dem Gesichtswinkel einer klaren Rollenteilung unter den am Projekt Beteiligten als "No-Go bezeichnet werden". Die Situation habe zudem zu Verletzungen der gemeinderechtlichen Ausstandspflicht geführt und sei damit auch rechtlich unzulässig gewesen.
Hinzu komme, dass die Beschlüsse der Gesamtprojektleitung oder des Steuerungsausschusses teilweise nicht nachvollziehbar seien, beispielsweise deshalb, "weil Protokolle, namentlich zu Zirkularbeschlüssen, fehlen oder darüber keine Auskunft geben und deshalb nicht in allen Fällen klar war, welche Folgen ein Beschluss hatte". Auch ein systematisches Risikomanagement habe gefehlt. Unter diesen Umständen habe weder die städtische Projektleitung noch der Steuerungsausschuss hinreichend "Gegensteuer" geben können.
Personelle Wechsel, Absenzen und Abgänge im Schulamt hätten das Problem ab Anfang 2020 zwar noch verstärkt, seien aber für die Schwierigkeiten im Herbst 2019 nicht kausal gewesen.

Zeitdruck führt zu wenig Tests

Als weiteren wesentlichen Grund für die Probleme identifiziert der Bericht den Zeitdruck, unter dem das Projekt abgewickelt wurde. Gründe für den Zeitdruck waren das Ziel, die neue Software auf das Schuljahr 2019/2020 hin einzuführen, und das absehbare End of Life der früheren Plattform Anfang 2020. Der Zeitdruck habe die Projektgremien bei verschiedenen Gelegenheiten vor ein "fait accompli" gestellt und nur noch eine "Flucht nach vorn" zugelassen.
Fatal sei dann im Herbst 2019 insbesondere der Verzicht auf die ursprünglich geplante gestaffelte Einführung im Rahmen von Pilotbetrieben gewesen. Solche Pilotbetriebe wären angesichts der grossen Nutzerzahl (rund 10'000 Schülerinnen und Schüler und 1400 Lehrpersonen) unabdingbar gewesen, schreibt Friederich. Dem Zeitdruck dürfte es auch zuzuschreiben sein, glaubt er, dass wiederholt Aufträge vergeben und entsprechende Verpflichtungen eingegangen worden sind, bevor der erforderliche Kredit bewilligt war.

Lehren laut Gemeinderat bereits gezogen

Aus Sicht des Stadtberner Gemeinderates bestätigt der ausführliche Untersuchungsbericht die Fehler, die bereits 2020 in einer externen Analyse festgestellt worden waren. Die wichtigsten Massnahmen seien mit der damals beschlossenen Neustrukturierung des Projektes bereits umgesetzt worden. Damit sei die Plattform "Base4kids" heute auf Kurs.

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