Künstliche Intelligenz (KI) wird Teil der medizinischen Versorgung werden – doch wie weit soll die Integration gehen? KI versucht das Verstehen und Lernen mit Software nachzubilden, indem die Systeme (etwa als neuronale Netze) aus grossen Datenmengen Fähigkeiten erlernen, die dann beispielsweise für Vorhersagen genutzt werden können. So funktionieren auch Suchmaschinen im Internet.
Heute
Auch in der Medizin trifft man immer öfter auf KI. Meine Krankenkasse bietet mir aktuell ein digitales Versicherungsmodell mit einem Symptom-Checker an, der auf KI beruht. Meine erste Reaktion: Wie spannend – darüber möchte ich mehr erfahren, um eine informierte Entscheidung treffen zu können. Aber das war nicht so einfach, denn meine Krankenkasse konnte keine meiner Fragen zum KI-Algorithmus beantworten. Ich wollte etwa wissen: Wofür wird der Algorithmus eingesetzt? Wie wurde er trainiert? Wie wurde der "Bias" reduziert, also wie gut sind die Vorhersagen für verschiedene Menschen? Was mache ich, wenn ich das Ergebnis der KI für falsch halte?
Dass das Thema "KI in der Medizin" gerade in ist und die Aufklärung über KI aktuell ein Problem sein kann, wissen auch andere. Beispielsweise hat die Vertretung der Ärzteschaft (FMH) diesen Herbst deshalb klare
Forderungen zum Einsatz Künstlicher Intelligenz publiziert.
In Zukunft
Die Entwicklungen in der digitalen Medizin sind rasant. Deshalb ist es notwendig, in die Zukunft zu schauen, damit wir der Entwicklung nicht hinterherlaufen, sondern eine reflektierte Medizin der Zukunft – in der Menschen weiterhin im Mittelpunkt stehen – mitgestalten können.
Deshalb hat sich die Digital Society Initiative – das Kompetenzzentrum der Universität Zürich für digitale Transformation – mit der Medizinischen Fakultät Zürich zusammengetan. Gemeinsam widmen wir uns im
DSI Strategy Lab 2022 der Frage "Künstliche Intelligenz in der Medizin — wohin wollen wir?". Bewusst nutzen wir eine interdisziplinäre und partizipative Herangehensweise, um das Zusammenwirken von Mensch und KI in einem zukünftigen Setting mit Versorgern, Versicherern, Regulatoren und Anbietern vorherzusagen. Dabei haben wir gemeinsam verschiedene Szenarien für die nahe Zukunft in rund 10 Jahren und für eine ferne Zukunft in 25 Jahren entwickelt. Um sich breit abzustützen, bringen sich Digitalisierungsexpertinnen und -experten aus verschieden Disziplinen ein. Zudem haben wir Meinungen von Bürgerinnen und Bürgern sowie Versorgerinnen und Versorgern im Gesundheitswesen eingeholt.
In der nahen Zukunft werden Daten aus ganz unterschiedlichen Datenbanken, Messgeräten, sowie Sensoren so zusammengeführt, dass KI viele Vorhersagen machen und Fachleute damit auch bei medizinischen Entscheidungen unterstützen kann. Zudem werden KI-Chatbots die Rolle von digitalen Coaches übernehmen. In der fernen Zukunft werden auch digital funktionierende Implantate zur Normalität gehören und mit einem digitalen Zwilling wird man Behandlungen simulieren, bevor sie am Menschen eingesetzt werden. Der digitale Zwilling ist als KI-Modell ein Abbild einer Person in Form einer komplexen Software, die auch Empfehlungen für die Prävention von Erkrankungen geben kann.
Solche Szenarien bilden die Grundlage für Empfehlungen, die wir gerade erarbeiten und die im Frühjahr 2023 vorliegen und kommuniziert werden.
Was tun
Die Erfahrung zeigt: Es ergibt keinen Sinn, der digitalen Entwicklung in der Medizin ständig hinterherzurennen. Um mitzugestalten, müssen wir stärker in die Zukunft schauen und die Interaktion zwischen Mensch und KI als eine wesentliche Schnittstelle berücksichtigen. Letztendlich müssen wir alle in einem komplexen, sich ständig veränderndem Gesundheitssetting informierte Entscheidungen treffen können und dafür benötigt es spezielle Kompetenzen und Zugang zu Wissen. Das ist auch eine Voraussetzung dafür, dass die gesamte Bevölkerung Zugang zur digitalen Medizin bekommt. Wenn Bevölkerung und Gesundheitspersonal zukünftig digital kompetent sein sollen, müssen wir uns jetzt darum kümmern.
Deshalb ist es an der Zeit, mutige Entscheidungen zu treffen und Lehrpläne und Studiencurricula diesbezüglich radikal zu überarbeiten. Wir von der Digital Society Initiative (DSI) der Universität Zürich tragen mit unserem universitätsweit angebotenen "Studium Digitale" bereits jetzt dazu bei. Zudem wollen wir in Zukunft in einem Nebenfach "Digital Skills" vertieft vermitteln. Wissen ist gefragt – wir arbeiten daran.
Über die Autorin
Claudia M. Witt, MD, MBA, ist Co-Direktorin der Digital Society Initiative (DSI) der Universität Zürich (UZH) und Professorin für Komplementär- und Integrative Medizin an der Medizinischen Fakultät der UZH. Sie leitet vielfältige Projekte im Bereich Digital Health.