Sind Sie schon einmal auf Hindernisse gestossen, als Sie zu Fuss unterwegs waren? Beispielsweise auf steile Anstiege, Treppen oder schlechte Oberflächenbeschaffenheit? Sehr wahrscheinlich sind Ihnen solche Hindernisse am ehesten aufgefallen, als Sie schweres Gepäck getragen oder einen Kinderwagen geschoben haben. Für Personen im Rollstuhl oder Menschen mit Mobilitätseinschränkungen gehören solche Hausforderungen zum Alltag.
Eine andere Frage: Wie einfach ist es für Sie, einen Spaziergang zu planen? Stellen Sie sich vor, es ist ein sonniger schöner Tag, Sie haben keine Mobilitätseinschränkungen und beschliessen, in der Stadt eine Runde zu drehen. Das Erste, das Sie vielleicht tun, ist, Google Maps zu öffnen, den Fussgängermodus auszuwählen, um die beste oder kürzeste Route zu Ihrem Zielort zu finden. Aber gilt dies ebenso für jemanden im Rollstuhl, einen Elternteil mit Kinderwagen oder eine Person mit Mobilitätseinschränkungen? Bieten ihnen vorhandene digitale Navigationswerkzeuge wie Google Maps einen barrierefreien Weg? Werden sie über potenzielle Hindernisse, wie schlechte Oberflächenbeschaffenheit, steile Anstiege oder schmale Trottoirs informiert?
Fehlende Daten zur Barrierefreiheit
Falls diese Fragen Sie dazu motiviert haben, dies in Ihrer Navigations-Apps auf dem Smartphone zu überprüfen, kennen Sie die Antwort bereits. Sie lautet: Nein. Denn leider liefern die vorhandenen digitalen Tools nicht die notwendigen Informationen für die Mobilität und Navigation von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder -behinderungen.
Warum ist das so? Es fehlen schlicht Daten zur Barrierefreiheit. Unter Barrierefreiheit versteht man Merkmale, die die Mobilität von Menschen mit Einschränkungen entweder erleichtern oder behindern können, wie z. B. Bordsteinrampen, eine zu geringe Gehwegbreite oder die Oberflächenbeschaffenheit. Die Erhebung und Pflege solcher Daten ist ein aufwändiger und kostspieliger Prozess, weshalb diese in der Regel nicht von staatlichen Datenanbietern oder kommerziellen Unternehmen bereitgestellt werden.
Citizen-Science-Projekt
Das
Projekt "ZuriACT", eine Kooperation zwischen der Universität Zürich (UZH) und der Stadt Zürich, hatte zum Ziel, die genannten Probleme zu adressieren und die Daten zur Barrierefreiheit durch eine Fallstudie im Kreis 1 von Zürich zu ergänzen. ZuriACT, finanziert durch einen städtischen Innovationskredit von "Smart City", war ein Citizen-Science-Projekt. Dies bedeutet, dass auch Bürgerinnen und Bürger in das Projekt einbezogen wurden. Es bestand aus zwei Hauptkomponenten: Fokusgruppendiskussionen und Datenerhebung.
An den Fokusgruppendiskussionen nahm eine vielfältige Gruppe von Menschen teil, die sich über ihre Bedürfnisse, Erfahrungen und Bedenken in Bezug auf die Barrierefreiheit von Gehwegen in Zürich austauschte. Dieser Teil war entscheidend, um die Barrierefreiheit in der Stadt aus der Perspektive der betroffenen Personen zu verstehen. Teilgenommen haben beispielsweise ältere Menschen mit altersbedingten, oder Personen mit situationsbedingten Mobilitätseinschränkungen, wie Pflegekräfte oder Eltern mit Kinderwagen, sowie Personen mit eingeschränkter Mobilität.
Virtuelles Crowd-Sourcing
In der Datenerfassungsphase wurden die Projektteilnehmenden angewiesen, das digitale Web-Tool "Project Sidewalk" zu verwenden. Dieses wurde von Forschenden der University of Washington entwickelt, um die Barrierefreiheit von Gehwegen mithilfe von Google-Street-View-Bildern via Remote-Zugriff zu erfassen. Die Datenerfassung via Internet oder virtuelle Audits ermöglicht es, Strassen anhand von Street-View-Bildern zu bewerten und so Daten zur Barrierefreiheit zu sammeln. Der Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass er im Vergleich zur Begehung und Datenerfassung vor Ort zeiteffizienter und kostengünstiger ist. Darüber hinaus ermöglichen virtuelle Audits betroffenen Personen, unkompliziert zur Datenerfassung beizutragen, ohne dass sie sich an Stellen begeben müssen, an denen ihre Mobilität durch Hindernisse eingeschränkt werden könnte.
Dank den ZuriACT-Teilnehmenden konnten im Kreis 1 von Zürich über 9100 Zugänglichkeitsmerkmale erfasst werden. Beispielsweise vorhandene und fehlende Bordsteinrampen, Zebrastreifen, Fussgängerampeln, fehlende Trottoirs oder Probleme mit der Oberflächenbeschaffenheit. Jedes Merkmal wurde einem Etikett zugeordnet, welches von mindestens zwei Personen des Projektteams mit dem Validierungstool "Project Sidewalk" überprüft wurde. Da dieses Tool jedoch auf Google-Bildern basiert, die nicht immer aktuell sind und nicht das gesamte Untersuchungsgebiet abdecken, wurden alle gesammelten Merkmale für eine zweite Runde der Datenvollständigkeit und Qualitätssicherung in das in der Schweiz entwickelte Web-Tool "Infra3D" übertragen. Dieses verwendet aktuelle Street-View-Bilder, die von der Schweizer Firma iNovitas aufgenommen wurden, und ermöglicht so eine genauere Datenverifizierung. Darüber hinaus erlaubte dieser zweite Schritt die Erfassung von Daten, die präzise Messungen erfordern, wie z. B. die Breite oder die Neigung und Querneigung von Gehwegen.
Praktische Lösungen für Menschen mit Mobilitäteinschränkung
Wie geht es nun weiter? Das von der Digitalisierungsinitiative (DIZH) finanzierte
Projekt "ZuReach", das im November 2024 startet, wird die Arbeit von ZuriACT fortsetzen. ZuReach zielt darauf ab, eine skalierbare und regelmässig aktualisierte Datenbank mit umfassenden Informationen zur Barrierefreiheit von Gehwegen in Zürich bereitzustellen. Diese Initiative ist von entscheidender Bedeutung für die Weiterentwicklung digitaler Methoden und Werkzeuge, die diesen angereicherten Datensatz nutzen, um praktische Lösungen für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen anzubieten. Dadurch kann sich eine solche Initiative erheblich auf soziale, wissenschaftliche, politische, wirtschaftliche und ökologische Bereiche auswirken.
Über die Autorin
Hoda Allahbakhshi ist Forschende bei der Digital Society Initiative (DSI) und Leiterin der Forschungsgruppe "Inclusive Mobility and Sustainable Transport" in der GIS-Abteilung des Geographischen Instituts der Universität Zürich (UZH). In ihrer Arbeit konzentriert sie sich auf die räumliche Zugänglichkeit, insbesondere für Personen mit eingeschränkter Mobilität.