Nach mehreren Verzögerungen geht in 100 Tagen die neue Beschaffungsplattform Simap live – wenn nichts mehr schiefgeht. Wir haben mit den Verantwortlichen über die Gründe gesprochen und gefragt, was schiefgelaufen ist.
Acht Jahre ist es her, seit der Relaunch der Beschaffungsplattform Simap erstmals konkret angedacht worden war. Ein Projektabbruch und mehrere Verzögerungen später steht der Go-Live nun bevor. In genau 100 Tagen, am 1. Juli 2024, soll es soweit sein und das Projekt KISSimap (Keep it simple Simap) soll live gehen.
Im Interview haben Adriano Moser, der Geschäftsführer von Simap.ch, und Projektleiter Rolf Münger über die Gründe der zahlreichen Verzögerungen und den Dienstleister Unic gesprochen. Sie sagen, wie lange das alte und neue Simap noch parallel betrieben werden.
Fangen wir positiv an. Nach mehreren Verschiebungen ist das Relaunch-Projekt von Simap auf der Zielgeraden. Wie froh sind Sie?
Moser: Es ist noch zu früh, um sich zu freuen. Wir sind zwar auf der Zielgeraden, aber noch nicht im Ziel.
Adriano Moser
Münger: Seit Dezember sind wir funktional fertig, seit diesem Zeitpunkt läuft das finale Testing: Performance-, Security- und Vorabnahmetests. Gleichzeitig läuft die juristische Prüfung, die sicherstellt, dass die Software gesetzeskonform ist. Das alles läuft parallel und gleichzeitig müssen auch die Findings behoben werden …
Aber der Start am 1. Juli, an dem halten Sie fest?
Münger: Wir sind auf gutem Weg, wenn nicht auf den letzten Metern noch grössere Fehler auftauchen. Wie so oft bei IT-Projekten bleibt es bis zuletzt anspruchsvoll.
Moser: Planung und Kommunikation sind auf den 1. Juli ausgelegt… Aber sicher sind wir erst, wenn die Plattform an diesem Tag wirklich live geht.
Der Go-Live war ja schon mal für den 1. Juli geplant, einfach 2023. Notabene, nachdem der vorherige Termin vom 1. Januar 2023 nicht eingehalten werden konnte.
Moser: Das stimmt.
Und wenn wir noch weiter zurückschauen, geht das Projekt bis ins Jahr 2016 zurück. Damals erfolgte ein Zuschlag an die griechische Firma European Dynamics für eine neue Plattform.
Moser: Auch das ist korrekt. Ich selbst stiess 2019 zu Simap, kurz vor dem Abbruch des Projekts mit European Dynamics. Das erste Papier, das ich als Geschäftsführer auf dem Tisch hatte, zeigte nur rote Lämpchen.
Warum ist so viel schiefgelaufen bei diesem Projekt?
Moser: Soviel vorab: Es ist sehr viel gut gelaufen im 2020 lancierten Projekt. Unser optimistischer Plan sah Go-Live am 1. Januar 2023 vor. Aber wir hatten schon damals eine Reserve von einem halben Jahr eingeplant.
Die Reservezeit hat sich seither verdreifacht, kann man sagen.
Moser: Das stimmt. Und wir kommen am 1. Juli 2024 nur mit einer abgespeckten Variante, nicht mit dem, was wir ursprünglich bestellt hatten. Der Rest kommt in drei Releases bis ungefähr Mitte 2025 – insgesamt haben wir also zweieinhalb Jahre Verspätung.
Also bleibt das aktuelle Simap noch länger?
Moser: Nein, die Version, die am 1. Juli live geht, kommt mit dem Funktionsumfang des heutigen Simap. Dieser wird dann laufend erweitert. Geplant ist ein Parallelbetrieb bis Ende 2024, dann soll das heutige Simap abgestellt werden. Die Daten der Legacy-Plattform stehen aber für Auswerte- und Statistikzwecke zur Verfügung.
Aber nochmal: Warum ist so viel schiefgelaufen?
Münger: Die initialen Einschätzungen des Entwicklungspartners waren nicht zutreffend. Die Komplexität wurde zu Beginn unterschätzt.
Rolf Münger
Vom Anbieter, also von Unic?
Münger: Als wir zusammen die Situation geklärt haben, hat Unic das Team in Folge gezielt erweitert.
Auf eigene Kosten?
Münger: Ja, Unic hat sein Team auf eigene Kosten erweitert.
Arbeitet Unic derzeit gratis?
Münger: Nein, die Leistung ist als Werk mit Zahlungsplan vereinbart.
Was bedeutet das?
Moser: Unic arbeitet nicht gratis, sondern im Rahmen der vertraglich vereinbarten Entschädigungen.
Wie kam es zur Fehlkalkulation?
Münger: Das müssen Sie Unic fragen. Für uns war der Wille von Unic, das Projekt trotz aller Schwierigkeiten umzusetzen, immer spürbar.
Gehen die Kosten der Verzögerung voll zulasten des Anbieters?
Moser: Nicht nur. Durch die Verzögerung kommen bei anderen Verträgen auch Mehrkosten auf uns zu. Ausserdem ist es in der Branche üblich, mit Nachforderungen und Änderungsanträgen das Geld oder mindestens einen Teil davon einzufordern.
Läuft das auf eine juristische Geschichte hinaus?
Moser: Wir sind in regelmässigem Austausch mit dem Top-Level-Management von Unic. Beide Seiten sind bestrebt, eine rechtliche Auseinandersetzung zu vermeiden.
Sie gehen also nicht von einem Nachspiel mit Anwälten aus?
Moser: Das ist richtig.
Die Zuschläge damals gingen an Unic für die Entwicklung und Begasoft für Hosting und Support. Für dieses Gespräch sitzen wir aber in den Büros von Eraneos. Warum?
Moser: Simap hat lediglich zwei Teilzeitangestellte. Wir brauchen Leute, die das Projekt führen – und das macht Eraneos. Sie stellen Mitarbeitende für verschiedene Rollen, insgesamt zwei bis drei Vollzeitstellen.
Im Projektteam auf Ihrer Website sind rund 56 Personen aufgelistet.
Moser: Es handelt sich um Mitarbeitende von verschiedenen Lieferanten, die zum Beispiel Erklärvideos produzieren, Übersetzungen machen, Kommunikationsverantwortliche… Und nicht zuletzt rund 18 Personen von Unic. So kommt die Zahl zustande.
Wie viel Fluktuation gibt es in einem so grossen Projekt, das sich immer weiter verzögert?
Moser: Viel – fast monatlich kommen und gehen Mitarbeitende. Aber das Kernteam mit Rolf Münger, dem Product Owner, sowie die wichtigsten Mitarbeitenden von Unic und Begasoft sind von Anfang an dabei.
Gab es in den vergangenen Monaten und Jahren wieder einen Moment mit roten Lämpchen, um die Zusammenarbeit mit Unic abzubrechen?
Moser: Doch, natürlich. Diese Frage stellten wir uns sehr früh, doch die Bemühungen und Anstrengungen von Unic, das Projekt abzuschliessen, haben die Zusammenarbeit am Leben erhalten. Ohne dieses Commitment hätten wir vermutlich die Reissleine gezogen.
Reden wir über die Kosten: Was hat das Relaunchprojekt bis jetzt gekostet?
Moser: Das Projektbudget beträgt 6,9 Millionen Franken. Das Geld reicht bis Ende 2025, bis dahin brauchen wir keine zusätzlichen Ressourcen. Was danach passiert, hängt von allfällig nötigen Investitionen ab.
Was ich an der ganzen Geschichte spannend finde, ist, dass die Beschaffung der Beschaffungsplattform exemplarisch für die Problematik des ganzen Beschaffungswesens steht. Man wählt zu oft die günstigste Lösung, die sich dann später als die teuerste herausstellt.
Moser: Dem stimme ich zu. Das Projektteam stellte ursprünglich den Antrag, den Preis nur mit 20% zu gewichten, aber das war nach Auskunft unserer Juristen leider nicht möglich. Vielleicht ginge das mit dem heutigen Beschaffungsgesetz. Aber die Problematik bleibt: Initialkosten sind bei komplexen Projekten absolut sekundär.
Trotzdem erteilten Sie Unic den Auftrag.
Moser: Ja, und dies ehrlich gesagt mit einem guten Gefühl. Sie schnitten punkto Qualität als zweitbeste ab und wir konnten gute Referenzen einholen. Dennoch müssen wir uns die Kritik gefallen lassen, zu stark auf den Preis geachtet zu haben. Die Addition der Punkte aus Qualität und Preis ergab schlussendlich das beste Angebot. Wir waren überzeugt von Unic.
Was sagt der Auftraggeber, also der Vorstand, zu den Verschiebungen?
Moser: Hans-Peter Wessels ist als Präsident von Simap und als Auftraggeber stark involviert. Wir sind im täglichen oder zumindest wöchentlichen Austausch miteinander.
Sind Sie kritisch miteinander?
Moser: Der Vorstand setzt sich aus Vertretenden der ganzen Schweiz zusammen. Jedes Mitglied arbeitet im Beschaffungswesen auf verschiedenen Ebenen. Sie müssen sich auch innerhalb ihrer Stammorganisationen erklären. Logisch gibt es kritische Diskussionen und das ist auch gut so.
Gehen wir davon aus, dass der Go-Live am 1. Juli klappt. Was passiert dann?
Münger: Ab diesem Zeitpunkt kommen alle neuen Ausschreibungen auf die neue Plattform. Was zuvor auf der alten ausgeschrieben wurde, bleibt dort. Der Zuschlag wird dort erteilt. Es findet keine Migration statt.
Welche Funktionen kommen nach dem 1. Juli noch dazu?
Münger: Die elektronische Angebotseingabe. Man wird also nicht mehr Ordner per Post herumschicken müssen, sondern kann die entsprechenden Dateien auf dem neuen Simap hochladen.
Die neue Plattform soll also das papierlose Beschaffungswesen ermöglichen?
Moser: Das ist das Ziel. Ab welchem Zeitpunkt das von A bis Z möglich sein wird, lässt sich aktuell aber noch nicht sagen.
Wer darf sich nun mehr auf das neue Simap freuen? Beschaffungsstellen oder Anbieter?
Moser: In erster Linie die Beschaffungsstellen, weil sie viel mehr auf der Applikation erfassen und die Mehrheit der Funktionalitäten nutzen können. Sowohl für Anbieter als auch für Beschaffungsstellen wird dank der intuitiveren Oberfläche die Bedienung einfacher. Darüber hinaus dürfen sich Anbieter von Procurement-Tools freuen, weil wir die API-Schnittstelle stark ausgebaut haben. Nicht zuletzt können Anbieter wie bisher interessante Ausschreibungen per Push-Nachricht abonnieren.
Auch die Einführung von Gebühren steht zur Diskussion.
Moser: Ja, wie vor einem Jahr angekündigt, prüfen wir die Einführung von Gebühren, die das neue Beschaffungsrecht vorsieht. Der Preisüberwacher hat dem Vorhaben inzwischen zugestimmt. Im April legen wir das Thema unserer Mitgliederversammlung zur Entscheidung vor. Die Mitglieder entscheiden, ob Gebühren eingeführt werden oder nicht.
Welche Funktion soll bepreist werden?
Moser: Die Abo-Funktion, die ich vorhin erwähnte. Wir hatten viele Ideen diskutiert, um Einnahmen für die Plattform zu generieren. Aber viele sind wenig erfolgversprechend oder rechtlich nicht zulässig. Als beste Wahl entpuppte sich die Abo-Funktion.
Aber die Abo-Funktion kommt so oder so, also mit oder ohne Gebühr?
Moser: Ja, sowohl bei der Legacy-Plattform als auch bei der neuen Plattform steht der Abo-Dienst zur Verfügung. Eine Bezahlfunktion wurde bisher nicht implementiert, da der Entscheid noch aussteht.
Bleibt Unic auch nach Projektabschluss der Partner, um das Projekt weiterzubetreiben oder schreiben Sie das neu aus?
Moser: Eine Neuausschreibung wäre denkbar. Aktuell ist es aber kein Diskussionspunkt und nicht spruchreif.