

Mgmt-Summary: Blockchain
26. Januar 2023 um 11:40In der Kolumne Mgmt-Summary erklärt Rafael Perez Süess Buzzwords. Heute erklärt er die Blockchain und sagt, dass niemand ein Problem hat, für das diese eine Lösung ist.
Es gibt kaum ein technisches Buzzword, das in der jüngsten Vergangenheit gleichzeitig von fast keinem Menschen wirklich verstanden und dennoch derart oft von denselben Menschen verwendet wird. Diesem Buzzword werden Fähigkeiten und innovative Disruptionen nach-, respektive vorhergesagt, dass man meinen könnte, die nächste digitale Revolution stecke darin. Es ist klar, um was es geht: die Blockchain ist’s und all ihre Derivate und Mitbringsel wie die "Distributed Ledger Technologie", "Non-Fungible Tokens" (NFTs) und natürlich die Kryptowährungen wie Bitcoin. Die Blockchain ist mýthenumwoben und gleichzeitig hochgradig technologisch. Nun aber der Reihe nach.
Die eigentlichen Erfinder dessen, was man heute Blockchain nennt, sind unbestritten die beiden Herren Stuart Haber und W. Scott Stornetta. Sie beschrieben im Jahr 1991 die Grundlagen zur kryptografisch abgesicherten Verkettung einzelner (Daten-)Blöcke. Später, im Jahr 1998, gesellte sich unter anderem auch der bekannteste Kryptograf der Welt, Bruce Schneier, in die Reihe der Blockchain-Beschreiber. Das ist deshalb erwähnenswert, weil Bruce heutzutage zu den prominentesten Kritikern der Blockchain gehört. Damals ging es den Mathematikern und anderen Theoretikern noch nicht um die Erfindung von Kryptowährungen, es steckte eher eine akademische Motivation dahinter. Anfänglich ging es einfach darum, einer Serie von digitalen Dokumenten jeweils einen Zeitstempel zu verpassen, der die Unveränderbarkeit sicherstellte. Also eigentlich so eine Art digitaler Stempel mit Historien-Verkettung. Technisch ist das keine grosse Errungenschaft: man bedient sich für die Blockchain bei den gängigen kryptographischen Mitteln. Die wichtigste Komponente ist die Bildung eines Hashwertes, welcher überhaupt nichts mit einem Hashtag zu tun hat. Ein Hash ist eine mathematische Einwegfunktion, die eine Zeichenfolge in einen kürzeren, numerischen Wert oder Schlüssel mit fester Länge umwandelt. Mit den gleichen Daten erhält man immer den gleichen Hashwert, aus dem Hashwert kann man aber keine Daten zurück konstruieren. Ein Hash ist also eine Art digitaler Finderabdruck von irgendwelchen Daten.
Funktionsweise
Wie in der Bibel beginnt alles mit der Genesis: genauer dem UR-Block. Dieser enthält die ersten Daten und einen Haswert derselben obendrauf. Alle folgenden Blöcke bestehen immer aus drei Elementen:
- dem Hash des vorangehenden Blocks
- den eigentlichen Daten
- einen Hash als Deckel über den ganzen Block.
Ab jetzt repetiert sich die Chose beliebig oft und immer gleich:
Eine Blockchain könnte man mit Legosteinen nachbauen.
Nun ist auch klar, dass ich nicht einfach in einem Block die Daten verändern kann, ohne dass man das merkt: Der Hashwert im Deckel stimmt dann nicht mehr mit den Blockwerten zusammen, und da sich die Hashwerte immer weiterverketten, stimmt die ganze Kette nicht mehr. Der Fisch stinkt dann nicht vom Kopf, sondern von irgendeiner Schuppe aus. Aber er stinkt. Oder anders ausgedrückt: Der aktuellste Block enthält sozusagen Spurenelemente des Genesis-Blocks.
Der einzige knifflige Trick besteht nun noch darin, sicherzustellen, dass bei einer verteilten Blockchain alle Instanzen immer den gleichen neuen Block hinzufügen. Das sogenannte Konsensverfahren stellt sicher, dass alle immer den gleichen neuen Block erschaffen. Technisch gibt es verschiedene Möglichkeiten, das populärste Verfahren nennt sich Proof-of-Work. Das Problem an einer dezentralen Blockchain ist nun, dass alle immer die vollständige Kette bei sich haben müssen. Zur Veranschaulichung: aktuell beträgt die komplette Blockchaingrösse von Bitcoin rund 450 Gigabytes.
Geschichte
Und das bringt uns zurück zur Geschichte der Blockchain. Die "Erfinder" des Konzeptes nannten sie nämlich noch nicht Blockchain. Und benutzt wurde sie in der Praxis auch nicht wirklich. Bis im Jahr 2008 eine Person oder eine anonyme Gruppe mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto das berühmte Whitepaper "Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System" (PDF) publizierte und damit den Grundstein sowohl für die ganzen Cryptocoins legte als auch zum ersten Mal eine verteilte Blockchain bis ins letzte Detail beschrieb. Um aus einer Blockchain eine Währung zu bauen, benötigt man einige mathematische und informationstheoretische Konzepte. Der Rest ist Geschichte. Der Begriff "Blockchain" kommt in besagtem Paper nicht vor, wohl aber der Begriff "Block". Die Blockchain als gebräuchliches Wort entstand mutmasslich erst im Jahr 2015. Wir lernen: Die Blockchain, wie wir sie heute kennen, ist so gesehen ein Kind von Bitcoin und nicht umgekehrt.
Anwendungsbereiche
Da die Blockchain als Wesen in der Praxis doch eher kompliziert ist und ein technisch sehr vertieftes Verständnis voraussetzt, entstanden schnell ganz viele Begehrlichkeiten und Visionen. Meistens mit einem disruptiven Hintergedanken: Das Ende der Banken, der Notare, des Interbank-Clearings, des Finanzplatzes überhaupt wurde heraufbeschworen. Deloitte schrieb 2016 im schwadronierenden Managerdeutsch: "Die Entwicklung der Blockchain-Technologie verändert die Rolle traditioneller Player im Bereich Finance und Accounting grundlegend". (PDF)
Schnell entwickelten sich mehr Gefühle als Ideen: Irgendetwas mit Nachvollziehbarkeit, Unveränderbarkeit, Vertraulichkeit und natürlich mit Sicherheit. Neben dem Finanzwesen sollten auch das Gesundheitswesen, die Versicherungen, ja sogar Wahlen und Abstimmungen endlich digital sicher möglich werden. Alle sprachen von Möglichkeiten, von Potenzial, von Revolution. Sogar der Bundesrat hat sich damit beschäftigt.
Und heute, im Jahr 2023? Nichts davon ist passiert.
Ja, es gibt heute ernste Versuche mit NFTs, um beispielsweise Kunst im digitalen Raum zu verkaufen. Aber wenn wir ehrlich sind, sind das global betrachtet einfach nur Spielereien für Nerds. Auf Binance kann ich Teileigentümer von Ronaldo werden: "Own a Piece of the Legend" – lustig. Und teuer.
Der Hype hat sich in der Zwischenzeit etwas gelegt. Die Blockchain war ein klassischer Blender: Man hatte das Gefühl, etwas Grosses komme und sah sich nach Problemen um, die mit dieser Technologie gelöst werden können. Der eingangs erwähnte Bruce Schneier schreibt heutzutage: «Niemand hatte jemals ein Problem, für das die Blockchain eine Lösung ist. Stattdessen nehmen die Leute die Technologie und machen sich auf die Suche nach Problemen.»
Ich könnte es besser nicht sagen.
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