Seit einigen Jahren hat sich "Big Data" auch im deutschen Sprachgebrauch zu einem geläufigen und weit verbreiteten Begriff entwickelt. In letzter Zeit sind verschiedene wissenschaftliche Publikationen erschienen, die sich mit dem Nutzen und den Herausforderungen von Big Data auseinandersetzen. Diese werden aber meist nur von einem Fachpublikum rezipiert. Demgegenüber bezieht die breite Öffentlichkeit ihre Informationen aus anderen Quellen.
Medien spielen bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung und -verbreitung eine wichtige Rolle, indem sie die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf bestimmte Themen lenken und ihr diese näherbringen. So kann beispielsweise die mediale Berichterstattung über technologische Innovationen einen erheblichen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung und Akzeptanz dieser Technologien haben. Nun liegt eine systematische Analyse der Berichterstattung zum Thema Big Data in ausgewählten Zeitungen aus der Schweiz und den USA vor, die im Rahmen des NFP-75 Projektes "Between Solidarity and Personalization – Dealing with Ethical and Legal Big Data Challenges in the Insurance Industry" durchgeführt wurde.
Die Medieninhaltsanalyse ging der Frage nach, welche Frames (Deutungsmuster) in Schweizer und US-amerikanischen Zeitungen in der Debatte über das Thema Big Data verwendet werden. In der Kommunikations- und Medienwissenschaft beschreibt Framing den Prozess, mit dessen Hilfe Themen und Ereignisse in Interpretationsmuster eingeordnet werden. Gemäss Entman (1993) erfüllen Frames zwei Funktionen: Zum einen dienen sie dazu, bestimmte Aspekte der Realität auszuwählen und zum anderen sollen diese Aspekte in der Kommunikation mit bestimmten Problemdefinitionen, Interpretationen, moralischen Bewertungen oder Handlungsanweisungen verbunden werden.
Im Zuge der Medieninhaltsanalyse wurden zunächst für jedes Land drei Zeitungen ausgewählt, die von verschiedenen Zielgruppen mit unterschiedlichem Bildungsstand gelesen werden und die aufgrund ihrer Auflagenhöhe ein grosses Publikum erreichen. Für die Schweiz waren dies die 'Neue Zürcher Zeitung' (inkl. 'NZZ am Sonntag'), der 'Tages-Anzeiger' sowie der 'Blick' (inkl. 'Sonntagsblick') und für die USA die 'New York Times', 'USA Today' sowie die 'New York Post'. Anschliessend wurden mithilfe der Mediendatenbank Factiva die Zeitungsartikel identifiziert und heruntergeladen, die sich von Januar 2011 bis April 2018 mit dem Thema Big Data beschäftigen. Dies führte zu einem Korpus von insgesamt 513 Artikeln (262 aus den USA und 251 aus der Schweiz). Im nächsten Schritt wurden mittels manueller Kodierung die Chancen und Risiken identifiziert, die in den Zeitungsartikeln zum Thema Big Data beschrieben werden. Abschliessend wurde eine Clusteranalyse durchgeführt, um die wichtigsten Deutungsmuster in der Berichterstattung herauszuarbeiten.
Die Clusteranalyse ergab, dass in der Zeitungsberichterstattung folgende Frames vorherrschen:
- Mit deutlichem Abstand lassen sich die meisten Artikel dem Deutungsmuster Forschung, Medizin und Geschäftsmodelle zuordnen (262 Artikel). Diese Artikel heben hervor, dass Big-Data-Anwendungen einen Nutzen in den Bereichen Forschung und Medizin sowie bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle stiften. Hierbei werden die Chancen für den medizinischen Fortschritt am häufigsten thematisiert (62 Nennungen in 53 Artikeln), gefolgt von Möglichkeiten auf anderen Forschungsfeldern (53 Nennungen in 48 Artikeln) und bei neuen Geschäftsmodellen (46 Neuen in 40 Artikeln).
- Ein ebenfalls weit verbreitetes Frame fokussiert auf die Risiken von Big Data. Die Artikel thematisieren die Verwendung der gesammelten Daten und heben die damit verbundenen Gefahren hervor. In diesem Zusammenhang werden der Missbrauch von Daten und Datenschutzverletzungen mit Abstand am häufigsten in den Fokus gerückt.
- Beim dritten Frame liegt der Fokus auf Produktinnovationen. Die Artikel heben hervor, dass sich mithilfe von Big Data-Anwendungen Produktanpassung und -verbesserung realisieren lassen.
- Das vierte Deutungsmuster betont die Chancen im Bereich Prozessverbesserungen und umfasst insgesamt 37 Artikel. Diese stellen dar, dass dank Big Data-Anwendungen operative Prozessoptimierungen möglich werden.
- Im fünften Frame werden die Nutzenpotentiale für das Marketing angesprochen. Diese Artikel betonen vor allem, dass mittels der Analyse des Konsumentenverhaltens das Marketing von Unternehmen optimiert werden kann.
Zusammenfassend hat die Analyse der Zeitungsartikel ergeben, dass die meisten Frames chancenorientiert sind. Nur eines – der Missbrauch von Daten – ist risikoorientiert. Die Zeitungen setzen somit den thematischen Schwerpunkt ihrer Berichterstattung auf den Nutzen, der mit Big Data verbunden wird.
Im Ländervergleich zeigen sich inhaltlich nur wenige Unterschiede in der Berichterstattung der Schweizer und US-amerikanischen Zeitungen. Zum einen konzentrieren sich mehr Artikel in den USA auf das Thema Produktinnovationen, während in der Schweiz der Fokus etwas stärker auf den Bereichen Marketingoptimierung und Prozessverbesserung liegt. Zum anderen wird das risikoorientierte Frame, der Missbrauch von Daten, in der Schweiz etwas mehr diskutiert als in den USA.
Die zeitliche Entwicklung der Frames zeigt einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA. Augenfällig ist, dass die mediale Debatte über Big Data ihren Ursprung in den USA (Zentrumsnation) hat. Zahlreiche US-amerikanische Unternehmen sind internationale Innovationsführer auf diesem Gebiet. Europa und die Schweiz hingegen sind eher Technologiefolger (Peripherienation). Dies spiegelt sich auch in der medialen Berichterstattung der Schweiz wieder, die das Thema mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung und mit einem etwas höheren Mass an Skepsis und Besorgnis, z.B. bezüglich des Schutzes der Privatsphäre, aufgegriffen hat. (Christian Hauser)
Literatur:
Entman, R. (1993). "Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm" in Journal of Communication, Vol. 43, pp. 51-58.
Hauser, C.; Blumer, H.; Christen, M.; Hilty, L.; Huppenbauer, M.; Kaiser, T. (2017). Ethische Herausforderungen für Unternehmen im Umgang mit Big Data. SATW: Zürich
Über den Autor:
Prof. Dr. Christian Hauser ist Professor für Internationales Management an der FH Graubünden und Fellow der UZH Digital Society Initiative; Mitglied der Themenplattform Ethik der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW; Mitglied der Arbeitsgruppe Anti-Korruption der Vereinten Nationen Principles for Responsible Management Education (PRME) und Leiter des PRME Business Integrity Action Center. Seine Forschungsinteressen beinhalten u.a. die Bereiche unternehmerische Verantwortung, Unternehmensintegrität und Big Data Ethik.
Zu dieser Kolumne:
Unter "DSI Insights" äussern sich regelmässig Forscherinnen und Forscher der "Digital Society Initiative" (DSI) der Universität Zürich. Die DSI fördert die kritische, interdisziplinäre Reflexion und Innovation bezüglich aller Aspekte der Digitalisierung von Wissenschaft und Gesellschaft.