Auffallend oft höre ich in letzter Zeit Klagen, die in etwa so klingen: "Unsere Hersteller wollen bloss ihre Produkte verkaufen und damit Umsatz bolzen, die wirklichen Bedürfnisse unserer Kunden haben sie aber schon lange aus den Augen verloren und damit einhergehend auch das Verständnis für unser Geschäft. Kommt hinzu, dass sie in immer schnellerem Rhythmus neue Produkte auf den Markt werfen, die unseren Kunden kaum noch einen brauchbaren Zusatznutzen bieten. Sie beinhalten oft reine Scheininnovationen zur Rechtfertigung einer neuen Produktegeneration. In Tat und Wahrheit dreht sich aber alles bloss um die Erreichung ihrer Umsatzziele und wir Channel-Partner und Integratoren werden als reine Produkteverkäufer missbraucht. Dies entspricht so gar nicht unserem Verständnis von Kundenbeziehung und ist oft meilenweit von den Problemen und Anforderungen unserer Kunden entfernt."
Erst mal muss ich einem IT-Unternehmer, der im obigen O-Ton jammert, klarmachen, dass er es selbst in der Hand hat, eine solche für ihn ungünstige Situation zu seinen Gunsten zu verändern. Und zweitens ist es für das tiefere Verständnis äusserst hilfreich, wenn man sich die unterschiedlichen Interessen von IT-Herstellern und ihren Vertriebspartnern klar vor Augen führt. Die Interessen sind nämlich komplett unterschiedlich, allen gebetsmühlenartigen Beteuerungen von wegen "Sie sind unsere Partner, das wichtigste Glied in unserer Kette zum Kunden und wir sind mit Ihnen auf eine langfristige Win-Win-Partnerschaft ausgerichtet" zum Trotz. Ich bin sogar überzeugt, dass sich die Interessen in den vergangenen Jahren sukzessive auseinander dividiert haben und heute in vielen Fällen nahezu diametral in der Landschaft stehen.
Werfen wir nur mal einen Blick auf die hart umkämpften Hardware- und Netzwerkmärkte oder auch den Markt für ERP- und Business-Software. Alle grossen Hersteller in diesem Branchen – HP, IBM, Lenovo, Cisco, Microsoft, Oracle, SAP etc. – sind börsenkotierte Unternehmen und damit dem Zwang zum quantitativen Wachstum (in Sinne von laufendem Umsatzplus beziehungsweise Profitplus und dem Zwang zur Huldigung des Shareholder Value) unterworfen. Gleichzeitig werden ihre Produkte immer austauschbarer und der Wettbewerb immer härter. Wen wundert es also, wenn viele dieser Unternehmen als Lösung ihres "Wachstumsproblems" die Flucht in ständig neue Produkte – und damit verbunden die Hoffnung, den Umsatz weiter ankurbeln zu können – sehen. Mit nutzenbringenden Innovationen und einem ernst gemeinten Beitrag zur Kundenproblemlösung hat dieses Vorgehen oftmals wenig zu tun.
Doch wieder zurück zum "Hersteller-geplagten" Unternehmer und seinem Geschäft. Er trägt nämlich ganz entscheidend zur Unzulänglichkeit dieser Situation mit bei. Jahrelang hat er sich unreflektiert am Output seiner Hersteller orientiert und sowohl die Existenz seines Geschäfts wie auch dessen Strategie plus-minus dem "grossen Plan" seines Partners untergeordnet. Weder hatte er eine klare Vision für sein eigenes Unternehmen, noch hat er sich je vertieft gefragt, in welchem Markt er mit welchen Problemlösungen eine klare Positionierung und Differenzierung aufzubauen gedenkt. Dadurch entstand ein Heer von Channel-Partnern und Integratoren, die im Prinzip nichts anderes sind als VW-, Audi- oder BMW-Händler. Und das eigentlich ohne Not! Denn ich glaube zu wissen, dass kein grosser IT-Hersteller heute noch die nötige Machtposition besitzt, seinen Channel-Partnern Vorschriften zu machen, wie sie im Auto-Handel nach wie vor an der Tagesordnung sind.
Damit ist das Problem – so denke ich – identifiziert. Nachdem ich mich klar als "Anwalt" der inhabergeführten KMU im hiesigen IT-Markt verstehe, liegt meiner Meinung nach die Lösung auch bei den Channel-Partnern und den Integratoren selbst.
Sie müssen sich emanzipieren und sich vom "Rockzipfel" von HP, Cisco, Microsoft und Co. dauerhaft lösen. Oder anders ausgedrückt, sie müssen die Zukunft ihres Geschäfts wieder voll und ganz in ihre eigenen Hände nehmen. Dazu gehört – und davon bin ich überzeugt – eine deutlich intensivere Orientierung an den eigenen Kunden und ihren Problemen und Bedürfnissen. Die Realität in den Anwenderunternehmen ist oftmals wesentlich pragmatischer, als die IT-Hersteller es sich vorstellen und es möglicherweise gerne hätten. Oder wie es mir ein Unternehmer mit einem rund einhundert Mann starken IT-Fullservice-Unternehmen in der Innerschweiz kürzlich unmissverständlich ausdrückte: "Die Probleme bei unseren KMU-Kunden sind oftmals so weit von den Vorstellungen unserer Produkte-Herstellern entfernt, dass ich mich schon gar nicht mehr getraue, ständig mit neuen sogenannten innovativen Produkten aufzukreuzen, die in der Folge oft mehr zusätzliche Probleme schaffen, als bestehende zu lösen." Channel-Partner und Integratoren müssen also (wieder) lernen, dass ihre Existenzberechtigung nicht beim Hersteller zu finden ist, sondern ausschliesslich bei ihren Kunden. Und diese suchen und verlangen nach Problemlösungen, massgeschneidert auf ihre individuelle Situation.
Konsequent zu Ende gedacht heisst Emanzipation für einen hiesigen IT-Unternehmer natürlich auch, sein eigenes – von irgendwelchen IT-Herstellern unabhängiges – strategisches Konzept und Vision zu entwickeln und konsequent zu verfolgen. Trägt er doch für sein Unternehmen die alleinige unternehmerische Verantwortung und das ganze Risiko. Das nimmt ihm erfahrungsgemäss kein Hersteller ab.
Last but not least bin ich davon überzeugt, dass viele KMUs hierzulande auch in der Lage sind, bessere Strategien und kundenorientiertere und nutzenbringendere Innovationen (also nicht bloss technischer Natur) bei den IT-Endanwenderunternehmen auf die Beine zu stellen als die grossen Brüder und Schwestern ennet des grossen Teichs. (Urs Prantl)
Urs Prantl (51) arbeitete über 20 Jahre als Softwareunternehmer in der Branche. Seit Ende 2011 unterstützt er IT- und Softwarefirmen bei ihrer strategischen Ausrichtung mit Hilfe einer Alleinstellungspositionierung. Er äussert als Kolumnist für inside-channels.ch seine persönliche Meinung.