Prantl behauptet: Service public hui, Service concours pfui

29. November 2021 um 14:43
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Unser Kolumnist Urs Prantl beschäftigt sich mit der Post und anderen Staatsunternehmen, die im ICT-Bereich auf Einkaufstour sind.

Unternehmen, welche bis dato die Digitalisierung (weitgehend) verschlafen haben, suchen zunehmend ihr Heil im Aufkauf von hiesigen IT- und Softwarefirmen. Diese sollen dann ihre Digitalisierungsprobleme lösen. Für Unternehmenszukäufe braucht es allerdings eine gut gefüllte Kriegskasse. Nicht weiter verwunderlich also, wenn es insbesondere finanzstarke grosse Unternehmen und Konzerne sind, die eine solche Strategie verfolgen.
Solange sich die Käufer in privater Hand befinden, lässt sich dieser Umstand aus der Sicht der Konkurrenten einigermassen unter "gesunder Wettbewerb" verbuchen. Gehören die Käufer hingegen ganz oder zum grossen Teil der öffentlichen Hand, so sieht die Sache anders aus. Zu Recht fragen sie dann nämlich konkurrenzierende Marktteilnehmer, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht.
So hat eben erst Abacus gegen die Schweizerische Post bei der Aufsichtsbehörde Postcom eine Beschwerde mit dem Grund "Übernahme Aktienmehrheit/Kapitalerhöhung KLARA" eingereicht. Die Klage rügt, dass die soeben getätigte Mehrheitsbeteiligung an Klara keinesfalls durch den Service Public-Auftrag der Post gedeckt und daher wettbewerbsverzerrend sei. Auch wenn einige Tage später in der Luzerner Zeitung eine "Gegendarstellung" des Klara-CEO erschien, die strittige Frage, ob die Klara-Beteiligung durch den Service Public-Auftrag gemäss Postgesetz gedeckt ist, wird damit natürlich nicht beantwortet. Das werden die Postcom, und mit grosser Wahrscheinlichkeit danach, das Bundesgericht entscheiden müssen.
Die Aufstockung ihrer Mehrheitsbeteiligung an Klara ist allerdings nicht der erste Shopping-Ausflug des gelben Riesen in die IT-Branche. So kaufte die Post gerade eben die Dialog Verwaltungs-Data AG, ein in Baldegg ansässiges Unternehmen, welches Software- und Cloud-Lösungen für öffentliche Verwaltungen entwickelt ). Daneben besitzt sie bereits seit einiger Zeit weitere IT-Firmen in der Schweiz wie etwa die Tresorit, ASMIQ, SwissSign und andere mehr . Höchste Zeit also, dass sich mit Abacus ein aus unserer Branche stammender adäquater Gegenspieler um ein bindendes Gerichtsurteil bemüht. Und zwar auf eigene, und nicht auf Staatskosten.
Die Post ist allerdings nicht das einzige Unternehmen der öffentlichen Hand auf Akquisitionstour. Äusserst aktiv beim Zukauf von IT-KMU sind beispielsweise auch die Bernischen Kraftwerke (BKW Gruppe). Und zwar dermassen aktiv, dass sich der Gewerbeverband Berner KMU mit der Website fair-ist-anders.ch bereits seit 2016 mit einer Informations- und Sensibilisierungskampagne gegen die Akquisitionspraxis der BKW und anderer Staats- und staatsnaher Unternehmen wehrt.
Doch, wieso kaufen grosse Staatsunternehmen so gerne KMU aus der IT-Branche? Dafür gibt es einige Gründe.

Mythos "ewiges Wachstum"

Interessanterweise glauben auch viele Staatsunternehmen (die privaten ohnehin) an den Mythos des ewigen Wachstums. Ganz besonders dann, wenn sie wie die Post von einem ehemaligen McKinsey-Mann geführt werden. Etwas anderes als eine quantitative Wachstumsstrategie steht dort meist gar nicht zur Diskussion und Alternativen werden auch gar nicht erst evaluiert. Umso erfrischender liest sich dann der Kommentar eines Lesers des Tagesanzeiger-Artikels "Post übernimmt Softwarefirma", der am 17.11.2021 über die Post schreibt: "Verstehe nicht, warum die Post verzweifelt neue Geschäftsfelder sucht und versucht der Privatwirtschaft Konkurrenz zu machen. Die Post soll sich um die Post kümmern. Wenn das klassische Postgeschäft wegen der Digitalisierung schrumpft, dann soll halt auch die Post entsprechend kleiner werden. Ich könnte ja verstehen, wenn die Post Geschäftsfelder eröffnet, die es ihr erlauben, z.Bsp. weiterhin viele Poststellen offen zu halten bzw. den Service Public aufrechtzuhalten." Sein simpler Vorschlag an die Post lautet also: Passt euch an und schrumpft euer Geschäft! Für eingefleischte Manager ist das pure Blasphemie.

Verschlafene Digitalisierung

Tatsache ist, die Digitalisierung wurde – und wird immer noch – vielerorts verschlafen. Insbesondere grosse Organisationen mit ihren trägen Strukturen und erratischen Unternehmenskulturen der "old Economy" sind davon betroffen. Die mehr oder weniger sinnvolle Digitalisierung ihres bereits bestehenden Geschäfts bekommen sie meist noch in den Griff, an der Kreation und Entwicklung komplett neuer Geschäftsmodelle aus eigener Kraft scheitern sie aber. Die Beratungsindustrie rät ihnen daher, statt radikale Innovationen selbst zu gebären, sollen sie besser ausserhalb zukaufen. Mit dem Resultat, dass beispielsweise Versicherungen wie die Mobiliar cloud-basierte Business-Software wie Bexio kaufen.

Weil sie es können

Ein weiterer Grund für die hohe Akquisitionstätigkeit einiger Staatsunternehmen ist natürlich die Tatsache, dass sie "es einfach können". Allein ihre schiere Grösse, verbunden mit der hohen Finanzkraft macht es für die Staatsunternehmen risikolos, sich den einen oder anderen KMU "zu posten".
Clevere Strategen – und dazu gehört der Postchef Roberto Cirillo mit Sicherheit – wenden für ihre Zwecke einen bekannten Trick an. Der Gesetzesauftrag wird in schönen Worten dermassen verworren formuliert, dass sich darunter so gut wie alles subsumieren lässt. So formuliert die Post ihren Purpose wie folgt: "Wir bringen die Schweiz zusammen – jeden Tag seit 1849. Jede und jeder hat die Kraft, etwas zu bewegen. Im Kleinen wie im Grossen. Überall. Und auf ganz persönliche Art und Weise. Darum geben wir bei der Post täglich unser Bestes. Wir bringen täglich Wertvolles, bringen uns ein und bringen so die Schweiz zusammen. Wir schaffen neue Möglichkeiten, damit alle ihre Ziele und Träume erreichen können. Individuell, im Team und als Gesellschaft. Gestern, heute und auch morgen. Denn wir sind die Schweizerische Post: Wir bringen die Schweiz zusammen – jeden Tag seit 1849."
Mit diesem Raison d’Être, wie die Post ihren Purpose bezeichnet, lässt sich – ehrlich gesagt – fast schon jedes Geschäft betreiben und jedes IT-Unternehmen kaufen. Zeit also, dass Klarheit geschaffen wird. Abacus - go for it!
Urs Prantl war über 20 Jahre als Softwareunternehmer tätig. Seit 2012 begleitet er IT- und Software-Unternehmen auf ihrem Weg zu nachhaltig gesundem Wachstum und ist als M&A-Transaktionsberater in Nachfolgesituationen tätig. Er äussert als Kolumnist für inside-it.ch und inside-channels.ch seine persönliche Meinung.

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