Erstmals äussert sich ein Konzernleitungsmitglied von Swisscom in einem Interview öffentlich zum Glasfaserausbau. Christoph Aeschlimann, Leiter der Geschäftsbereiche IT, Netzwerk und Infrastruktur sagt, dass die Situation aktuell schwierig sei und macht den Mitbewerbern einen möglichen Lösungsvorschlag. Weil es im Gespräch unter anderem auch um laufende Verfahren ging, wurde dieser Text von der Rechtsabteilung von Swisscom geprüft und freigegeben.
Wie ist die Gefühlslage bei Ihnen persönlich und innerhalb der Swisscom nach den Urteilen der Weko, des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichts zu Ihren Ungunsten?
Mir persönlich gehts gut, aber für Swisscom war es ein anstrengendes Jahr mit vielen Unsicherheiten wegen der genannten Urteile.
Sie hatten versprochen, bis im Jahr 2025 rund 1,5 Millionen Haushalte ans Glasfasernetz anzuschliessen. Ist dieses Versprechen unter diesen Umständen noch zu halten?
Wir haben auch versprochen, per Ende 2021 in 90% aller Gemeinden mindestens 80 MBit/s Breitbandinternet anzubieten. Das können wir halten.
Dazu sind Sie ab 2024 auch gesetzlich verpflichtet. Ich habe aber nach dem anderen Versprechen gefragt.
Die absolute Zahl hängt von der Entwicklung der Verfahren ab und wie wir bauen können.
Swisscom sieht keine Alternative zu Point-to-Multi-Point
Das heisst konkret, dass Sie an Ihrem Plan festhalten, zwischen Anschlusszentrale und Verteilschacht nur eine Glasfaser verlegen zu wollen?
Ja, wir wollen an unserem Vorhaben festhalten, den Glasfaserausbau rasch und effizient mittels der sogenannten Point-to-Multipoint Technologie (P2MP) voranzutreiben. Aus unserer Sicht ist das sinnvoll. Es gibt einen Grund, weshalb 90% aller Netze weltweit so gebaut werden. Point-to-Multipoint ist günstiger, effizienter und man kommt schneller voran. Aufgrund der grossen Volumen findet für den privaten Bereich die weltweite Innovation im P2MP-Bereich statt. Das erscheint mir für die Zukunft der Breitbandversorgung der Schweiz zentral. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, bedeutet das aber nicht, dass wir jeweils nur eine Glasfaser verlegen.
Das bedeutet aber in der Konsequenz, dass Sie aufgrund der vorsorglichen Massnahmen, die beim Bundesgericht derzeit hängig sind, nicht bauen können.
Doch, wir bauen weiter aus, und zwar so, dass dadurch ein sogenannter Layer-1-Zugang für die Mitbewerber zu einem späteren Zeitpunkt grundsätzlich möglich bleibt. Aber wir vermarkten die Anschlüsse nicht, was den Vorgaben der Weko entspricht. Den Bau zu stoppen, hätte auch zur Folge, dass mehrere tausend Menschen ihre Arbeit verlieren würden, der Glasfaserausbau in der Schweiz schafft viele Arbeitsplätze. Darüber hinaus würden wir sehr viel Zeit verlieren.
Aber weiterzubauen, ohne den Entscheid des Bundesgerichts zu kennen, ist doch ein erhebliches finanzielles Risiko. Was hätte ein Bundesgerichtsurteil zu Ungunsten von Swisscom für Konsequenzen für bereits verlegte Glasfasern?
Das kommt auf das konkrete Urteil darauf an. Im besten Fall können wir die Vermarktung wieder aufnehmen.
Im schlimmsten Fall muss Swisscom neu bauen
Aber im Worst Case…
… müssten wir auf einen Point-to-Point-Bau umschwenken, die Feederinfrastruktur nachbauen und zusätzliche Fasern legen.
Haben Sie schon ausgerechnet, was das kosten würde?
Ja, aber zu diesen Kosten machen wir keine konkreten Angaben.
Das dürfte aber mindestens ein sehr hoher zweistelliger Millionenbetrag sein!
Es ist ein grosser Betrag, der einen substantiellen Einfluss auf die Ausbaugeschwindigkeit hätte.
Können Sie zur Ausbaugeschwindigkeit eine Aussage treffen: Um wie viele Monate oder Jahre würde sich der Bau verzögern?
Es kommt darauf an, wie viele Mittel zur Verfügung stehen. Weil der Bau teurer ist, können wir mit demselben Geld weniger Anschlüsse verbauen. Zudem wären in 80% der Gemeinden Tiefbauarbeiten nötig. Dazu sind Baugesuche notwendig, was normalerweise mindestens 1 Jahr Verzögerung bedeutet.
Sind Sie so optimistisch was das Bundesgerichtsurteil angeht, wenn sie dieses hohe Risiko beim Bau auf sich nehmen?
Das Gericht entscheidet unabhängig. Darauf haben wir nur beschränkten Einfluss. Aber egal welche Technologie schlussendlich verbaut werden muss: Der Bau in den Häusern selbst oder die letzten Meter vom Verteilschacht zum Haus erfolgen ohnehin basierend auf dem Vierfasermodell und muss sowieso gemacht werden, da gibt es kein Investitionsrisiko.
Wie gehen Sie mit der ungewissen Situation um, die die beiden hängigen Verfahren mit sich bringen?
Mit dieser Unsicherheit müssen wir leben. Natürlich wäre es schön, wenn die Verfahren bald enden oder schon fertig wären. Das Bundesgerichtsurteil erwarten wir nächstes Jahr, im Hauptverfahren kann es noch ein bisschen länger dauern…
Das Hauptverfahren kann sich noch 3 Jahre hinziehen.
Ich hoffe nicht, dass es noch so lange dauert. Zur möglichen Länge des Verfahrens kann ich mich nicht äussern. Wir sind aber mit der Weko im Austausch.
"Wir können vorerst keine neuen Anschlüsse mehr vermarkten"
Es bedeutet jedoch, dass Sie bis zum finalen Entscheid keine neuen Haushalte mehr in die Vermarktung aufnehmen können.
Solange die vorsorglichen Massnahmen der Weko in Kraft bleiben, können wir keine Anschlüsse vermarkten. Würde das Bundesgerichtsurteil die vorsorglichen Massnahmen bestätigen, bleiben diese in Kraft, bis das Hauptverfahren der Weko abgeschlossen ist.
Im schlimmsten Fall während 3 Jahren keinen neuen Haushalt vermarkten zu können, ist einschneidend.
Ja, und deshalb hat das Thema für uns eine hohe Bedeutung und wir wünschen uns eine rasche Klärung.
Nun, Sie könnten heute sagen: Wir bauen Point-to-Point und haben schon morgen die Schaufel in der Hand.
Theoretisch ja, aber praktisch hätte dieser Entscheid grosse Konsequenzen finanzieller Art und auch Einfluss auf die Dauer des Ausbaus. Unser Ziel ist es, die Schweiz so rasch wie möglich mit Ultrabreitband auszubauen, wofür die P2MP-Technologie ideal geeignet ist. Unsere Absicht ist wie gesagt weiterhin, an unserem Plan festzuhalten.
Was passiert in der Zwischenzeit und was ist Plan B, den Sie bestimmt schon in der Schublade haben?
Wir befassen uns permanent mit Alternativen, aber unser Fokus liegt auf der Umsetzung der aktuellen Strategie. Der Bau von einem Glasfasernetz mit einer Faser und Point-to-Multipoint.
Sprechen wir doch kurz über die Alternativen…
Wir haben ein neues Produkt ins Spiel gebracht: Dieses erlaubt es uns, unseren Wiederverkaufskunden auf unseren bestehenden Glasfasernetzen einen virtuellen Zugriff auf Layer 1 zu geben. Das ist fast wie Point-to-Point, nur günstiger. Die Weko führt derzeit die Marktabklärungen durch und wird das Feedback im Hauptverfahren berücksichtigen.
"Es handelt sich um Partikularinteressen von Init7"
In diesem Hauptverfahren geht's im Kern darum, ob Sie Point-to-Point oder Point-to-Multipoint bauen müssen.
Das ist die entscheidende Frage.
Haben Sie eigentlich Verständnis für die Argumente der Wettbewerbskommission und des Providers Init7? Sie sagen, dass nur 4 Fasern und Point-to-Point einen gerechten Wettbewerb ermöglichen würden.
Aus unserer Sicht handelt es sich um Partikularinteressen von Init7. Die meisten Anbieter in der Schweiz sind zufrieden mit unserem Angebot und auch wirtschaftlich sehr erfolgreich damit. Auch unsere Mitbewerber Salt und Sunrise UPC stützen uns in dieser Sache. Für sie ist genauso wichtig, dass die Schweiz so rasch wie möglich ausgebaut wird. Auf der anderen Seite benötigt die Schweizer Wirtschaft einen raschen Glasfaserausbau, um die Digitalisierung vorantreiben zu können. Diejenigen, die am meisten unter den aktuellen Urteilen leiden, sind Menschen in wenig besiedelten Gebieten.
Wenn Sie schon im Interesse der Schweiz argumentieren, wäre es nicht konsequent zu sagen, dass Breitbandinternet wie das Strassennetz oder die Wasserversorgung Aufgabe des Staates ist und entsprechend von der öffentlichen Hand finanziert werden muss?
Ich halte mich an die Sichtweise des Parlaments, das bei der Revision des Fernmeldegesetzes bewusst entschieden hat, auf Infrastrukturwettbewerb zu setzen und ein reguliertes Glasfasernetz ablehnte.
Swisscom hat auch immer sehr geschickt und gut lobbyiert.
Das Parlament ist unabhängig und entscheidet nach bestem Wissen und Gewissen. Aber nochmal: Basierend auf der Infrastruktur, der Kabelkanäle und dem verfügbaren Platz ist der Ausbau, so wie wir ihn vorantreiben, der einzig logische, nächste Schritt.
Das sehen offenbar nicht alle so, sonst gäbe es diese Streitereien vor Gericht nicht.
Ja, wobei sich wie gesagt auch Salt und Sunrise UPC zu unserem Modell bekannt haben. Es ist klar, dass es Anbieter gibt, die Technologien nutzen, die mit Point-to-Multipoint nicht kompatibel sind. Aber der Grossteil der Anbieter, auch gerade jene mit einem grossen Kundenstamm, haben kein Problem damit.
Wenn wir eine kurze Rückschau machen: Vor ungefähr 10 Jahren einigte man sich am runden Tisch auf den Glasfaserbau mit 4 Fasern und Point-to-Point. Oder etwa nicht?
Es gab keinen Beschluss, sondern eine Empfehlung. Das Hauptziel war damals, Parallelbau in den Städten zu verhindern und die Erschliessung innerhalb der Gebäude zu vereinheitlichen. Das hat geklappt, aber heute ist die Faktenlage eine andere: Die Netze in den Städten sind gebaut. In den ländlichen Gebieten wollen nicht mehrere Akteure bauen, wir sind oft die Einzigen.
Welche Fehler haben Sie denn rückblickend gesehen gemacht, was würden Sie jetzt anders machen?
Wir haben unsere Multipunkt-Strategie früh kommuniziert und hatten keine Anzeichen dafür, dass sie kartellrechtlich problematisch sein könnte. Wir sehen kein Versäumnis auf unserer Seite.
Nichtsdestotrotz müssen Sie aus der verzwickten Lage wieder rauskommen. Ohne die technischen Details zu kennen, scheint mir der virtuelle Layer-1-Zugriff ein gangbarer Weg. Was aber, wenn dieser im Markt nicht ankommt?
Technische Alternativen gibt es keine. Natürlich ist ein virtueller Zugriff nicht zu 100% dasselbe wie ein physischer, er bringt aber sehr viele seiner Eigenschaften mit, vor allem jene, die für die Anbieter relevant sind. Ausserdem erfordert das virtuelle Layer 1 weniger Investitionen seitens der Anbieter, was speziell für kleinere Anbieter im Vergleich zum physischen Layer 1 von Interesse ist.
Was ist mit einem neuen runden Tisch?
Ich bezweifle, dass das zielführend ist. Der letzte dauerte über 4 Jahre, so viel Zeit haben wir nicht mehr.
Trotzdem müssen alle Beteiligten erstmal abwarten: Zunächst aufs Urteil des Bundesgerichts, danach auf das Urteil der Wettbewerbskommission, und erst dann ist klar, wie es weiter geht.
Das ist gut zusammengefasst.
Zur Person
Christoph Aeschlimann (1977) ist seit Februar 2019 CIO und CTO von Swisscom sowie Mitglied der Konzernleitung. Zuvor war der Diplom-Informatiker während mehr als 6 Jahren zunächst Managing Director Switzerland und später CEO des Software-Entwicklers und IT-Beraters ERNI.