Die Frage, ob sich neue Technologien im Markt durchsetzen werden (und auch wann), wird in Strategieteams viel zu emotional und leidenschaftlich geführt. Zur Bewertung und Untermauerung der eigenen Argumente werden dann nicht selten Meinungen als Fakten zu verkaufen versucht. Oder es kommt gleich das Killerargument, dass man die Zukunft ohnehin nicht vorhersagen kann und damit die strategische Ausrichtung auf eine neue Technologie nicht mehr als Lotto spielen sei. Nach dem Motto: Entweder wir glauben daran – oder eben nicht.
Damit bin ich überhaupt nicht einverstanden. Die Zukunft – vor allem die kurzfristigere in einem Zeitraum von 5 bis 10 Jahren – kann nämlich durchaus "vorhergesagt" werden. Sie zeichnet sich aufgrund der aktuellen Trends relativ klar ab und lässt sich auf wenige plausible Varianten einschränken. Noch viel stärker gilt dies sogar bei vielen Technologietrends, die ja meist auch grosses Potenzial für zukünftiges Business haben.
Welches Nutzenpotenzial bergen Technologien?
Das Rezept dazu ist verblüffend einfach: Welches echte Nutzenpotenzial birgt die neue Technologie? Welches echte Problem könnte die neue Technologie ein für alle Mal lösen? Mit Absicht habe ich mich bei beiden Fragen des Adjektivs "echt" bedient. Denn genau hier liegt die Krux. Den Nutzenpotenzialen müssen nämlich real vorstellbare und sinnvolle Usecases zugrunde liegen und kein Wunschdenken. Dasselbe gilt bei der Frage nach dem durch die Technologie zu lösenden Problem. Handelt es sich um ein real existierendes Problem, welches dermassen schmerzt, dass für dessen Lösung Geld bezahlt werden wird, oder eher um ein Pseudo-Problem?
Je grösser der erwartete Nutzen, je drängender das zu lösende Problem, desto höher ist die Chance, dass sich die neue Technologie auch im Markt durchsetzen wird. Und zwar egal, wie weit ihre Entwicklung aktuell bereits fortgeschritten ist. Denn für ihre Weiterentwicklung zur wirtschaftlichen Reife werden sich mit Sicherheit Investoren und kluge Köpfe finden lassen, die damit reich werden wollen.
KI und Cloud Top, Metaverse Flop
So weit, so logisch und nachvollziehbar. Doch jetzt komme ich mit meinen drei Beispielen. Und die haben es – speziell für IT-Leute – in sich.
1. Cloud: Ich erinnere mich noch zu gut an die zahlreichen Diskussionen von vor noch nicht mal zehn Jahren. Kaum ein IT- oder Softwareunternehmer, der mir damals nicht mit den schier unendlichen Risiken der Cloud in den Ohren lag. Und, wenn diese alle nicht halfen, so kam immer das Argument, "meine Kunden wollen keine Cloud, ich habe sie gefragt". Ich versuchte dann stets aufzuzeigen, dass erstens der zu erwartende Kundennutzen die Risiken bei weitem kompensiert, und dass sich zweitens diese Technologie sehr schnell weiterentwickelt, so dass sich viele Risiken bald in Luft auflösen. Und genau so kam es auch. Heute verarbeiten und speichern nahezu alle Firmen, Organisationen und Privatleute ihre Daten in der Cloud. Sogar Banken und Versicherungen, Rechtsanwälte, Ärzte und die Bundesverwaltung. Ob immer zu Recht, ob immer mit der nötigen Sorgfalt und Sachverstand, sei mal dahin gestellt. Fakt ist: Cloud Computing wurde innert weniger Jahre zum Milliardengeschäft.
2. Metaverse, bzw. virtuelle Arbeitswelten: Was diese Technologie anbelangt, bin ich umgekehrt optimistisch. Auch nach der Präsentation von Apples "Taucherbrille" mit einigen, zugegebenermassen durchaus sinnvollen und vorstellbaren Usecases, sehe ich beim Metaverse weder das grosse Nutzenpotenzial, noch habe ich verstanden, welches Problem damit gelöst werden soll. Daher, kurz und knapp. Das Metaverse wird floppen und seinen Weg vom Trend, über den Hype in die Bedeutungslosigkeit gehen. Jede businessmässige Beschäftigung damit ist Zeitverschwendung und aus strategischer Sicht sinnlos.
3. Künstliche Intelligenz: Bei KI denke ich nicht bloss an die aktuellen Tools generativer KI für Text und Bild, sondern auch an die heute noch unbekannte KI, die daraus in den nächsten Jahren so sicher wie das Amen in der Kirche entstehen wird. Und zwar genau deswegen, weil ihr Nutzenpotenzial dermassen gigantisch ist, dass sie wirklich die Kraft hat, ganze Wirtschaftszweige umzupflügen. Aktuelles Beispiel dazu ist die Ankündigung der "Bild"-Zeitung – also Deutschlands "Blick" – ab dem 1. Januar 2024 einen
Grossteil der Zeitung mithilfe von KI zu produzieren. Mit dem Ergebnis, dass davon 200 Fachkräfte-Stellen betroffen sein sollen. Und ich rate mal, das ist bloss der (kommunizierte) Anfang. Das sehen übrigens auch die hiesigen KMU so. So kommt das NZZ-KMU-Barometer Anfang Juni zum Ergebnis: "Künstliche Intelligenz ist mehr als bloss ein Hype:
Viele Firmen wollen jetzt ihr Geschäftsmodell anpassen". Ich meine, sie tun dies völlig zu Recht, denn KI wird auch die Cloud in Sachen (Kunden-)Nutzen und Problemlösungsfähigkeit um Faktoren übertrumpfen. Auch das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche. Ganz einfach, weil der zu erwartende wirtschaftliche Nutzen gigantisch ist.
Follow the Value: Überlegen Sie sich also künftig beim Auftauchen neuer Technologien, oder spätestens, wenn neue Technologien in der Breite spruchreif werden, ob und welchen Nutzen und Mehrwert sie zu stiften imstande sind. Gibt es in Ihrer Analyse davon jede Menge, so hat die Technologie definitiv das Potenzial, zu einem lukrativen Markt zu werden. Oder zu einem veritablen Risiko, was Technologien manchmal eben auch sein können. Vor allem für diejenigen, die sie ignorieren und verschlafen.
Urs Prantl kreiert zukunftssichere und gesund wachsende IT-Unternehmen und begleitet ihre Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Unternehmensnachfolge und beim Firmenverkauf. Gleichzeitig ist er Host des Podcasts Prantls 5A, in welchem die strategische Einzigartigkeit erfolgreicher IT-Unternehmen im Gespräch mit ihren Inhaberinnen und Inhabern im Dialog herausgeschält wird. Als Kolumnist äussert er auf inside-it.ch seine persönliche Meinung.