Experten zweifeln an der Datenqualität von Tracing-Apps

4. Mai 2020 um 11:34
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Die Schweizer Corona-Tracing-App steht kurz vor dem Start und das Parlament fordert eine gesetzliche Grundlage. Nun weisen Experten auf technische Limiten hin.

Eine Schweizer Corona-Tracing App steht kurz vor der Lancierung. Die App DP-3T, die von den beiden ETHs mitentwickelt wird, soll bis zum 11. Mai fertiggestellt werden. In den letzten zwei Wochen hätten Informatiker der EPFL die App mithilfe der Schweizer Armee getestet, schreibt die Hochschule in einer Mitteilung.
Bei einem Test auf dem Campus der EPFL seien die Daten der DP-3T-App mit anderen Messdaten verglichen worden. Dazu seien die Soldaten gebeten worden, alltägliche Aktivitäten wie Einkaufen oder das Sitzen im Zug nachzuahmen, während ihre Positionen mit Spezialkameras des Computer Vision Labs (CVLab) der EPFL erfasst und analysiert worden seien.
Ein weiterer Test wurde laut der Mitteilung über 24 Stunden in einer militärischen Einrichtung mit rund 100 Soldaten durchgeführt. Diese hätten Routineaufgaben durchgeführt, während die App auf ihren Smartphones lief und Kontakte registrierte. "Kontakt haben" heisse in diesem Fall "weniger als zwei Meter für mehr als fünf Minuten", so die Hochschule.
Eine Herausforderung sei, das System so zu kalibrieren, dass es unabhängig davon funktioniere, ob der Nutzer das Smartphone in der Hand halte oder im Rucksack verstaue, sagt Mathias Payer, Leiter des HexHive Lab der EPFL School of Computer and Communication Science. 
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Foto: Jamani Caillet / EPFL
"Wir haben verschiedene Parameter getestet, wie zum Beispiel Signalstärke und -frequenz", fügt Payer an. Ziel sei, dass das System gute Informationen ohne zu viele Fehlalarme liefere.

"False positive, false negative"

Eben diese Fehlalarme könnten ein grosser Schwachpunkt von Corona-Tracing-Apps sein. Wie Security-Forscher Bruce Schneier schreibt, könnten Falsch-Positiv- und Falsch-Negativ-Raten zu hoch ausfallen. Die Falsch-Positiv-Rate ist der Prozentsatz der Kontakte, die nicht zu Übertragungen führt, von der App aber als solche registriert werden.
Dafür gebe es mehrere Gründe, schreibt Schneier. Einerseits seien die Systeme, die auf Bluetooth oder GPS basieren, nicht genau genug. Ausserdem könnten sie etwa Trennwände nicht wahrnehmen und Vorsichtsmassnahmen wie das Tragen von Masken nicht registrieren, fügten Autoren des renommierten US-amerikanischen Think Tanks Brookings Institution an. Hinzu komme, dass nicht jeder von einer App registrierte Kontakt zu einer Übertragung führe.
Dies wiederum könnte zu einer hohen Zahl an Anwendern führen, die sich aufgrund einer App-Warnung freiwillig unter Quarantäne stellen, auch wenn sie nicht infiziert seien. "Eine Person kann sich damit ein- oder zweimal abfinden, aber nach ein paar Fehlalarmen und den daraus resultierenden Unannehmlichkeiten einer langwierigen Selbstisolierung erwarten wir, dass viele beginnen werden, die Warnungen zu missachten", schreiben die Brookings-Autoren.
Mindestens so problematisch seien falsch-negative Reaktionen; wenn also eine Krankheitsübertragung stattgefunden hat, die App aber den Kontakt nicht als solchen erkennt. Dazu beitragen würden neben den technischen Limitationen auch schlicht Fälle, bei denen Smartphone-Besitzer die App nicht installiert haben, oder ihr Gerät nicht bei sich haben. Auch gebe es zu bedenken, dass das Coronavirus lange auf Oberflächen überlebe. 
Auch in der Schweiz gibt es Meinungen, Contact-Tracing leiste einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung von Krankheiten, aber verschiedene Experten zweifeln daran, dass dies via Apps möglich ist. Das manuelle Contact Tracing, also das Nachvollziehen von Kontakten mittels Befragungen, ist aufwendig, zuständig sind die Kantone. Diese wollen, auch wenn es personal-intensiv sei, wieder verstärkt Contact-Tracing durchführen, schreibt 'SRF'.

Kommissionen verlangen gesetzliche Grundlage

Eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Contact-Tracing-Aps verlangen die Staatspolitischen Kommissionen (SPK) von National- und Ständerat. Die Nationalratskommission hatte vergangene Woche einen Vorstoss mit dieser Forderung eingereicht, am 1. Mai hat die Ständeratskommission nachgelegt. Mit den gleichlautenden Motionen wollen die Kommissionen zudem durchsetzen, dass nur Apps zum Einsatz kommen, die keine personenbezogenen Daten zentral speichern. Die Anwendung der App müsse zudem freiwillig sein.
Der Entscheid fiel in der Ständeratskommission mit 11 zu 1 Stimmen bei einer Enthaltung, wie die Parlamentsdienste mitteilten. Die Nationalratskommission hatte der Motion ebenfalls mit grosser Mehrheit zugestimmt.

Bundesrat lehnt Vorstoss ab

Der Bundesrat lehnt den Vorstoss der Kommissionen ab. Die Forderungen der Dezentralität und Anonymität sind schon systembedingt erfüllt, wie er in einer Stellungnahme festhält. Da es sich bei der App zudem um ein freiwilliges digitales Hilfsmittel für Massnahmen gemäss Epidemiengesetz handle, bestehe die erforderliche gesetzliche Grundlage bereits. Eine Notverordnung sei weder notwendig noch vorgesehen.

EDÖB will Freiwilligkeit

Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte Adrian Lobsiger plädiert für eine dezentrale Datenerfassung und für Freiwilligkeit. Wenn der Staat die Lösung umsetzen will, brauche es auch seiner Meinung nach eine gesetzliche Grundlage. 

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