Die Schweizer Firma Procivis ist schon seit ein paar Jahren auf dem Markt präsent und zählt beispielsweise den Kanton Schaffhausen oder die Stadt Zug als Kunden seiner mobilen Government-Lösung. Nach der Übernahme von Procivis durch Orell Füssli im Jahr 2021 wurde in die Entwicklung neuer Technologien investiert. Kürzlich hat der Anbieter eine komplett neue Lösung auf den Markt gebracht. "Nach einer längeren Markt- und Technologie-Analyse haben wir uns entschieden, eine von Grund auf neue Softwarelösung für dezentrale digitale Identitäten und Nachweise zu entwickeln", sagt Co-CEO Désirée Heutschi im Gespräch mit inside-it.ch. Man habe gesehen, dass die bestehenden Produkte den künftigen Anforderungen nicht gerecht würden.
Entstanden ist Procivis One, eine Lösung, die auf dezentrale digitale Identitäten und Nachweise setze. Ziel sei eine End-to-End-Lösung gewesen, die regulatorischen Anforderungen genüge, in der Schweiz wie auch international, insbesondere der neuen eIDAS-2.0-Verordnung in der EU. Sie sei interoperabel und skalierbar und damit auch für den Enterprise-Einsatz geeignet, führte Heutschi aus.
Mit der Lösung ist Procivis seit rund einem halben Jahr auf dem Markt. Der Start ist gut verlaufen, ist im Gespräch zu erfahren. Nicht nur in der Schweiz, auch international sei das Interesse gross, so die Procivis-Co-Chefin. Die Schweizer Firma mit ihren knapp 30 Mitarbeitenden hat demnach bereits eine Reihe von Projekten gewonnen, darunter eines des amerikanischen Department of Homeland Security (DHS).
USA testen Interoperabilität von E-IDs
Innerhalb des für innere Sicherheit zuständigen Ministeriums würden in einem Innovationsprogramm der Einsatz, der Betrieb, aber auch der Schutz der Privatsphäre von digitalen Identitäten überprüft. Im Rahmen des "Sillicon Valley Innovation Programs" wolle das DHS Sicherheit, Datenschutz und Interoperabilität der Technologie für digitale Identitäten prüfen, führte Heutschi im Gespräch aus. Gemeinsam mit anderen ausgewählten Unternehmen werde man im Rahmen des Projektes nicht nur am Datenschutz, sondern auch an der Interoperabilität zwischen Ländern arbeiten.
"Diese Vergabe macht uns sehr stolz. Wir werden zeigen, wie eine Verwendung von Nachweisen über Ländergrenzen hinweg mit unserer Technologie möglich ist", so Heutschi. Details zum Projekt könne sie keine nennen. "Das DHS ist auch für die Grenzkontrolle zuständig." Dementsprechend gehe es einerseits darum, die Identität einer Person in Zukunft eindeutig verifizieren zu können. Andererseits wolle das DHS die Interoperabilität der verschiedenen digitalen-Nachweise, sicherstellen.
Zusammenarbeit auch in EU und Schweiz
Dezentrale digitale Identitäten und Nachweise sind auch in Europa ein wichtiges Thema, das gilt nicht nur im Behördenumfeld, sondern auch für Privatunternehmen. Kürzlich ist die
eIDAS-2.0-Verordnung in der EU in Kraft getreten. Bis 2026 müssen alle Mitgliedstaaten ihren Bürgern ein kostenloses digitales Identitäts-Wallet zur Verfügung stellen, das ab 2027 auch von Firmen akzeptiert werden muss. Die Verordnung sieht zudem die "grenzüberschreitende Nutzung elektronischer Identifizierungsmittel und Vertrauensdienste" vor.
Neben einer digitalen Identität, einem mobilen Führerschein oder anderen digitalen Nachweisen können die Wallets in verschiedensten Use Cases verwendet werden. Die Anwendungen umfassen nicht nur das Behördenumfeld, sondern auch die Privatwirtschaft. Einen von vielen Use Cases sieht Heutschi im Bankenumfeld. Das digitale Onboarding eines neuen Kunden ("KYC"-Prozess) könnte einfacher und günstiger von einer Bank durchgeführt werden. Ein anderes Bespiel wäre die vereinfachte und datensparsamere Überprüfung der Kreditwürdigkeit einer Person für eine Kreditkarte oder Hypothek anhand digitaler Nachweise mit der gezielten Freigabe von einzelnen Daten durch die Person.
Ein anderer Use Case stammt aus dem Bildungsbereich: Studierende könnten ihre Diplome als sichere digitale Nachweise in ihrem Wallet halten. Diese Nachweise könnten sie so bei der Jobsuche den HR-Abteilungen freigeben, ohne dass die diese das dann wieder bei der Universität überprüfen müssten.
In der Schweiz wird es wohl 2026 werden, bis die E-ID verfügbar wird. Letzte Aspekte auf Technologieseite sind noch nicht spezifiziert. Klar ist aber, dass in der Schweiz der SSI-Ansatz gelten wird. Ein dezentraler Ansatz und
eine vom Staat herausgegebene E-ID – anders, als es bei der an der Urne abgeschmetterten Vorlage im Jahr 2021 der Fall war.
Über die Person:
Désirée Heutschi ist Geschäftsleitungsmitglied von Orell Füssli und seit 2023 Co-CEO von Procivis. Bis 2019 war sie viele Jahre bei Microsoft Schweiz in verschiedenen Führungsfunktionen tätig. Désirée Heutschi hat einen Executive Master of Business Law der Universität St. Gallen (HSG) und einen Master in internationalen Beziehungen der Ecole des Hautes Etudes Internationales (HEI) in Paris.
Über Procivis:
Procivis wurde 2017 gegründet und gehört seit 2021 zur Orell Füssli Gruppe. Das Mutterhaus stellt physische Vertrauensdokumente wie Banknoten, den Schweizer Pass und Führerausweis her. Procivis erweitert das Portfolio um digitale Nachweise: Mit der Software für Behörden und Unternehmen können digitale Nachweise ausgestellt, geprüft und gespeichert werden.