Unterhändler des Europaparlaments und der Regierungen der EU-Staaten erzielten am 29. November ein vorläufiges politisches Einvernehmen über neue Regeln für den Zugang zu digitalen Daten, wie der tschechische EU-Ratsvorsitz mitteilte. Demnach fehlen nur noch technische Details und die formale Bestätigung durch den Rat der Mitgliedstaaten und das Plenum des Europaparlaments.
Kern der neuen Regelung, "E-Evidence", ist nach Angaben der EU-Kommission eine sogenannte Herausgabeanordnung. Sie soll es künftig den Justizbehörden ermöglichen, über ein dezentrales IT-System direkt bei einem Diensteanbieter in einem anderen EU-Mitgliedstaat den Zugang zu elektronischen Beweismitteln anzufordern. Anbieter müssen innerhalb von zehn Tagen, im Notfall sogar innerhalb von acht Stunden antworten.
Die Verordnung regelt gemäss den Angaben nur die Erhebung gespeicherter Daten, sprich jene Daten, die ein Anbieter zum Zeitpunkt des Erhalts einer Herausgabeordnung besitzt. Sie enthalte "weder eine allgemeine Verpflichtung zur Datenspeicherung" noch werde mit ihr das Abfangen von Daten" genehmigt,
heisst es in der Verordnung. Daten sollten unabhängig davon bereitgestellt werden, ob sie verschlüsselt sind oder nicht.
Eine sogenannte Sicherungsanordnung soll zudem verhindern, dass elektronische Beweismittel durch Diensteanbieter gelöscht werden. Ausserdem ermöglicht sie den Justizbehörden, einen Anbieter in einem anderen Mitgliedstaat zu verpflichten, bestimmte Daten aufzubewahren, sodass die Behörden diese zu einem späteren Zeitpunkt anfordern können.
Anbieter sollen Vertreter ernennen
"Die neuen Vorschriften zu elektronischen Beweismitteln sind dringend erforderlich, damit unsere Justiz- und Strafverfolgungsbehörden wirksam gegen Terrorismus, Cyberkriminalität und andere schwere Formen der Kriminalität vorgehen können", kommentierte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson die Einigung. Derzeit blieben Kriminelle in einem grenzenlosen Internet oft anonym, was Straflosigkeit zur Folge habe.
Laut EU-Justizkommissar Didier Reynders richteten Behörden der EU-Mitgliedstaaten allein im zweiten Halbjahr 2020 mehr als 100'000 elektronische Beweisanträge an die grössten Online-Diensteanbieter. Mit der neuen Herausgabeanordnung würden die Mitgliedstaaten künftig über einen zuverlässigen Kanal verfügen, um rasch Daten zu bekommen.
Um die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Diensteanbietern zu verbessern, sollen alle Diensteanbieter nach Angaben der Kommission spezielle Vertreter ernennen, die sich um die Bearbeitung von Auskunftsersuchen kümmern. Gleichzeitig soll immer auch der Schutz der Grundrechte und der personenbezogenen Daten garantiert werden.
Umstrittene Chatkontrolle
In Sachen digitaler Kommunikation arbeitet die EU derzeit auch an einer "Chatkontrolle". Sie ist Teil eines Gesetzesentwurfs, der den Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Kindern im Internet erleichtern soll. Anbieter sollen in die Pflicht genommen werden, Material über sexuellen Kindesmissbrauch in ihren Diensten aufzudecken, zu melden und zu entfernen.
Dabei ist auch unter anderem eine Pflicht für Kommunikationsanbieter vorgesehen, private Chatnachrichten zu scannen. Von der Ausspähung betroffen wäre auch verschlüsselte Kommunikation. Für diese Pläne hagelte es scharfe Kritik,
auch aus der Schweiz.