Im März 2022 kündigte Lugano Grosses an. Man wolle nicht weniger als der Mittelpunkt der europäischen Blockchain-Industrie werden,
hiess es aus der Tessiner Stadt. Dafür hatte sich Lugano einen umstrittenen Partner angelacht: Tether, Emittent des grössten Stablecoins – mit einer Marktkapitalisierung von mittlerweile über 90 Milliarden Dollar. Der Kryptokonzern war immer wieder in den Schlagzeilen, weil er mit der US-Regulation in Konflikt geraten war und Verstrickungen verschleiert haben soll.
Im August verkündete Lugano, die Partnerschaft zu vertiefen. Der FC Lugano läuft seither mit dem Plan-B-Logo – das gemeinsame Projekt von Tether und Lugano – zu seinen Spielen auf. Im Stadion soll man mit Bitcoin, Tether und dem Luganeser "Stablecoin LVGA" bezahlen können. Auch wird Tether einen Validierungsknoten der stadteigenen Blockchain betreiben und einen 80 Millionen Franken schweren Fonds für Startups öffnen.
Grund genug, nach dem Stand der Dinge zu fragen. Wir haben Stadtpräsident Michele Foletti, treibende Kraft hinter dem Projekt, zum Gespräch getroffen.
Herr Foletti, wie kommt der Plan B in der Bevölkerung von Lugano an?
Wir stehen noch am Anfang, rund 350 Händler akzeptieren mittlerweile LVGA, Bitcoin und Tether. Aber ich denke, dass sich die Akzeptanz derzeit rasch verbessert. Für mich ist aber nicht entscheidend, wie viele Leute mit Bitcoin oder Tether bezahlen, sondern welche Technologie wir bereits implementieren konnten und welche Rolle unser eigener Stablecoin LVGA spielt. Heute besitzen rund 12'000 Personen ein Wallet.
Der LVGA ist vor allem ein Bonusprogramm mit 10% Cashback, wenn man einkauft.
Ja, es ist ein Treueprogramm, dessen Währung man nur in Lugano ausgeben kann. Jeder kann hier ein Wallet eröffnen. Wir haben das Projekt Ende 2020, mitten in der Pandemie, begonnen, als die Umsätze in den Läden eingebrochen sind. Damals haben wir das System erstmals getestet. Heute werden im Monat rund 7000 bis 8000 Transaktionen abgewickelt. Ich denke, wir konnten einige Leute in die Läden zurücklocken.
Welche Infrastruktur haben Sie für den LVGA aufgebaut?
Erst hatten wir nur die LVGA-App, Ende 2021 haben wir unsere eigene Blockchain, die 3Achain aufgebaut. Und 2022 starteten wir dann mit dem Projekt "Plan B". Die Firma Naka installiert seit letztem Oktober Terminals in Läden, auf denen man mit LVGA – aber auch mit Tether oder Bitcoin – bezahlen kann. Mittlerweile kann man auf diesen Geräten neben Kryptowährungen auch eine Kreditkarte und Twint nutzen.
Welche Vorteile erhoffen Sie sich für die Stadt von Bitcoin und Tether?
Es geht um das Gesamtpaket. Für uns sind die Bildungsveranstaltungen zu Blockchain-Themen wichtig. Nach einer Sommerschule haben wir auch eine Frühlingsschule für hiesige Unternehmer, Anwälte und Investoren durchgeführt. Mittlerweile leben hier viele Blockchain-Profis, vor allem aus Italien, wo die regulatorischen Bedingungen nicht besonders gut sind. Und man darf den Marketingeffekt nicht unterschätzen. Lugano gilt weltweit als Kryptohochburg.
Das kann aber auch nach hinten losgehen, Tether und die eng verbundene Kryptobörse Bitfinex sind umstritten. Wie kam die Partnerschaft zustande?
Ende Oktober 2021 organisierte die stadteigene Public-Blockchain 3Achain einen kleinen Kongress. Ein Bekannter von der Franklin University Switzerland, die hier ihren Campus hat, sagte mir, dass jemand in Lugano wohne, der viel über die Thematik wisse: Paolo Ardoino, der Technologiechef von Tether. Ich traf ihn dann Backstage und er fragte mich, ob wir den Staudamm im Verzascatal für Bitcoin-Mining brauchen würden. Ich fand das interessant und fragte ihn, welche Ideen er für die ökonomische Entwicklung von Lugano habe.
Hatten Sie keine Angst wegen der Reputation?
Zu Beginn schon, aber Paolo Ardoino und CFO Giancarlo Devasini waren von Anfang an sehr offen. Sie haben uns erklärt, was in den USA an Prozessen läuft. Anfangs war aber auch der traditionelle Finanzplatz Lugano mehr als skeptisch. Das hat sich mittlerweile zumindest in der Vermögensverwaltung geändert.
Nutzt die Stadt die Infrastruktur oder Services von Tether?
Nein, der stadteigene LVGA wird über 3Achain abgewickelt, eine private Blockchain mit einem Proof-of-Authority-Mechanismus. Es gibt rund 30 Node-Betreiber, die die Transaktionen in dem Verfahren bestätigen, darunter Hochschulen oder die Tessiner Kantonalbank.
Ab Herbst soll man nicht nur Services der Stadt, sondern auch Steuern in unbeschränkter Höhe in Bitcoin begleichen können. Damit gehen Sie weiter als Zug, wo der Betrag beschränkt ist.
Wir setzen auf denselben Finanzdienstleister wie Zug: Bitcoin Suisse. Die brauchten erst eine Bewilligung, um die Transaktion in unbeschränkter Höhe abwickeln zu können. Bei uns soll die Bezahlung mit Bitcoin aber so einfach sein, wie wenn man die Summe von einem Bankkonto überweist.
Wollen Sie Zug als Hauptstadt des Crypto Valley ablösen?
Nein, wir sehen die Stadt nicht als Widersacher, mit ihren Steuersätzen können wir ohnehin nicht konkurrieren. Zug will vor allem Kapital und Firmen anlocken, wir möchten eine Community aufbauen. Und wir wollen kein Crypto Valley, wir wollen eine Crypto Nation.
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