Im Kampf gegen den Fachkräftemangel wollen die eidgenössischen Räte das Ausländergesetz lockern. Davon profitieren sollen Personen aus dem Nicht-EU- und Nicht-Efta-Raum, wenn sie einen Schweizer Abschluss auf höherer Bildungsebene aufweisen können.
Nachdem der Nationalrat im März einer Gesetzesvorlage des Bundesrats zugestimmt hatte, ist der Ständerat nun ebenfalls auf die Vorlage eingetreten. Sie geht jetzt für die Detailberatung noch einmal zurück an die vorberatende Ständeratskommission, die wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ein Nicht-Eintreten beantragt hatte.
Tausende IT-Fachkräfte fehlen
Gemäss dem vom Bundesrat vorgelegten und vom Nationalrat noch leicht abgeänderten Gesetzesentwurf sollen Personen profitieren, wenn sie in einer Branche mit Fachkräftemangel arbeiten. Auch muss ihre Erwerbstätigkeit "von hohem wissenschaftlichem oder wirtschaftlichem Interesse" für die Schweiz sein. Im Auge hatten Bundesrat und Nationalrat beispielsweise Informatikerinnen, aber auch Techniker oder Medizinerinnen.
Stellen für Fachleute aus der Informatik lassen sich derzeit nur schwer besetzen, wie auch aus dem aktuellen
Swiss Job Market Index hervorgeht.
Man könne davon ausgehen, dass Informatiker auch in Zukunft zu den meistgesuchten Fachkräften gehören. Gemäss Zahlen von
ICT-Berufsbildung Schweiz waren im Jahr 2021 rund 246'400 Personen in der ICT-Branche tätig. Bis zum Jahr 2030 benötigt die Schweizer Wirtschaft aber 119'600 weitere Fachleute in diesem Bereich.
Ausnahmen für gesamte Teritärstufe
Der Nationalrat bestimmte im März, dass nicht nur Absolventinnen und Absolventen der Universitäten und der Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) von den Ausnahmen profitieren können. Die grosse Kammer will diese Sonderregelung auch Absolventen von Bildungsgängen der gesamten Tertiärstufe gewähren. Gemeint sind damit auch Personen mit eidgenössischen Fachausweisen, eidgenössischen Diplomen sowie Abschlüssen von höheren Fachhochschulen wie etwa einer Hotelfachschule.
Auch Postdoktoranden sollen einbezogen werden. Der Nationalrat sprach sich auch dafür aus, dass die genannten Personen bleiben können, "wenn es sich um eine qualifizierte Erwerbstätigkeit mit Bezug zum Hochschulabschluss handelt".
Die Organisation Digitalswitzerland hofft auf eine pragmatische Lösung, die den Denk- und Wirtschaftsstandort Schweiz stärkt. Eine einfache Lösung wäre auf eine Veränderung der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) hinzuarbeiten, die folgende Wege verfolgen könnte: Eine Anpassung der Kontingente nach oben; eine Anpassung des Prozesses zur Bewilligung der Aufenthaltserlaubnis für Absolventinnen und Absolventen oder eine Kombination aus diesen zwei Varianten wäre auch denkbar.
"Eine Vereinfachung des Prozesses zur Bewilligung der Aufenthaltserlaubnis ist zentral", so Digitalswitzerland. Damit zum einen absehbar sei, welche und wie viele Personen aus Drittstaaten, die einen Schweizer Hochschulabschluss in der Schweiz haben, eine Arbeit suchen wollen. Zum anderen, damit der Zulassungsprozess für Startups und KMUs, die am stärksten vom Fachkräftemängel betroffen seien, nicht zu aufwändig und zu abschreckend wirke.
Es geht um 400 bis 500 Personen
Der Eintretensentscheid des Ständerats fiel eher überraschend. Hatte doch die vorberatende Staatspolitische Kommission mit 8 zu 3 Stimmen bei einer Enthaltung beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten.
Ihr Sprecher Andrea Caroni (FDP/AR) sagte, eine neue Ausnahme von der in der Bundesverfassung festgehaltenen Bestimmung, dass die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt werde, sei nicht zulässig.
Zudem sei es gar nicht nötig, eine neue Ausnahme zu schaffen. Denn die Höchstzahl der zulässigen Aufenthaltsbewilligungen werde Jahr für Jahr nicht erreicht.
Auslöser für die geplante Gesetzesänderung war ein Vorstoss von Nationalrat und Unternehmer Marcel Dobler von der FDP St. Gallen. Dieser argumentierte, wenn die Schweiz teure Spezialistinnen und Spezialisten ausbilde, sollten diese auch hier arbeiten können. Nachdem der Nationalrat eine Motion von ihm überwiesen hatte, arbeitete der Bundesrat eine Vorlage aus.
Auch der Bundesrat sei der Ansicht, die geplante Änderung sei verfassungsrechtlich möglich, so Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider. Es gehe um etwa 400 bis 500 Personen. Im Nationalrat hatte der Bundesrat argumentiert, es gehe um Menschen mit Schweizer Ausbildung, die in der Regel bereits gut in die Schweizer Gesellschaft integriert seien.
Mit 24 zu 20 Stimmen entschied der Ständerat schlussendlich, auf die Vorlage einzutreten.