Prantl behauptet: Wir haben keine Ahnung, was Kunden kaufen wollen – sollten wir aber

28. Oktober 2024 um 09:44
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IT-Anbieter sollten ihre Kunden regelmässig nach ihren Bedürfnissen fragen. Denn Hype-Themen wie KI gehören nicht unbedingt zu deren momentanen Prioritäten, schreibt Kolumnist Urs Prantl.

Gleich vorweg: Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen dem, was Kunden brauchen und dem, was Kunden kaufen wollen – und, um dem noch eines draufzusetzen, dem, was Kunden dann auch tatsächlich kaufen. Das erste ist Bedarf, das zweite und dritte nennt man Nachfrage.
IT-Kunden haben naturgemäss nach sehr vielem Bedarf. Sie bräuchten ein vernünftiges ERP, ein CRM, um systematisch Marketing, Verkauf und Kundenpflege machen zu können, zeitgemässe IT-Security-Lösungen, um nicht gehackt und ausgeraubt zu werden, moderne Hardware mit modernen Betriebssystemen, um wettbewerbsfähig effizient und effektiv arbeiten zu können und Unzähliges mehr. Vieles davon haben sie schon, müssen es aber aufgrund der schnellen technischen Entwicklung immer mal wieder erneuern.

Der Kunde priorisiert seinen Bedarf

Auf neu aufkommenden Technologien wie beispielsweise KI basierende Produkte und Lösungen brauchen sie irgendwann auch, da nicht zuletzt ihre Mitbewerber ebenfalls davon Gebrauch machen und sich damit Wettbewerbsvorteile verschafft haben. Auf diese Weise entsteht für fast jedes Unternehmen ein nie abreissender Bedarf an allen möglichen IT-Lösungen. Das Dumme daran – für uns Anbieter – ist bloss, dass in der Regel bei jedem Kunden dermassen viel Bedarf vorhanden ist, dass er gar nicht alles auf einmal befriedigen kann. Sowohl aus finanziellen wie auch aus Ressourcen-Gründen.
Der Kunde priorisiert also seinen Bedarf und befriedigt ihn zeitlich gesehen eines nach dem anderen. Das dauert sehr lange, nicht selten Jahre. So passiert es regelmässig, dass während der Abarbeitung der Prioritätenliste neue, individuell dringendere Bedürfnisse dazwischenkommen und die Liste umsortiert wird. Mit dem Ergebnis, dass aus Kundensicht tief priorisierte IT-Bedürfnisse oftmals reines Wunschdenken bleiben und gar nie gekauft werden. Das ist dann vor allem für den IT-Anbieter schlecht, der sich genau auf dieses Bedürfnis fokussiert hat.

Unreflektiert in einen Topf geworfen

Wohingegen Nachfrage konkret ist: Sie entsteht dann, wenn der Kunde sein top priorisiertes IT-Bedürfnis tatsächlich befriedigen will und sich dazu auf die Suche nach Anbietern macht und Angebote einholt. Er ist also bereit, dafür Geld auszugeben. Was noch immer nicht zwingend auch heisst, dass er es tatsächlich tut. Da kann immer noch etwas dazwischenkommen, wie beispielsweise die oben beschriebene Änderung der Prioritäten. Irgendwann ist es dann aber doch so weit, der Kunden kauft und damit hat sich seine Nachfrage manifestiert.
Worauf will ich nun hinaus?
Immer wieder stelle ich in Workshops und Gesprächen fest, dass Unternehmerinnen, Sales-Leute und auch Marketingverantwortliche Bedarf und Nachfrage unreflektiert in einen Topf werfen. Da wird dann regelmässig festgestellt, dass die Kunden unbedingt das eine oder andere brauchen, dass der Markt sich gerade in diese oder andere Richtung bewegt und, dass dieses und jenes Tech-Thema momentan besonders heiss sei und man daher unbedingt dafür ein Angebot schnüren müsste. Aus Sicht eines objektiven Bedarfs sind diese Überlegungen und Analysen nicht unbedingt falsch, sie münden einfach selten in eine konkrete Nachfrage und führen daher auch nicht zu Verkäufen und damit zu Umsatz.

Brauchen Kunden tonnenweise KI-Lösungen?

Das aktuell beste Beispiel ist das Hype-Thema KI. Aufgrund seiner Medien-, Linkedin- und Beraterpräsenz könnte man meinen, dass IT-Kunden jetzt tonnenweise KI-Lösungen für ihr Business kaufen wollen. Die Praxis zeigt aber bei den meisten Anbietern, bei einigen davon habe ich mich sogar selbst davon überzeugen können, dass die Kunden zwar "KI-bedürftig" sind, aber momentan ganz andere Probleme haben, die sie zuerst mittels konkreter Nachfrage "käuflich" lösen wollen. Simpel gesagt, der Bedarf nach KI ist riesig, doch (noch) niemand will dafür auch Geld ausgeben.
Bei Hype-Themen ist eine solche Entwicklung typisch. Sie beginnen immer mit Bedarf, lange, bevor auch eine Nachfrage dafür entsteht. Oftmals bleiben sie sogar im Status von Bedarf und entwickeln sich gar nie bis zur Nachfrage. Das könnte möglicherweise das Schicksal des Metaverse, bzw. der virtuellen Arbeitswelten sein, wie ich es in meiner Kolumne "Follow the Value" im Juni vor einem Jahr bereits behauptet hatte.
Wenn wir nun also unreflektiert Bedarf mit Nachfrage mehr oder weniger gleichsetzen, dann tun wir so, als wüssten wir, was Kunden kaufen wollen und laufen damit nicht selten in die falsche Richtung. Indem wir mit falschen Angeboten, mit falschem Wording in der Marketingkommunikation, bei falschen Zielgruppen etc. operieren und uns ständig fragen, warum die Kunden nicht kaufen, obwohl doch der Bedarf eigentlich riesig wäre. Weil es nicht wie gewünscht funktioniert, probieren wir in der Folge ständig etwas anderes, stochern damit im Nebel von Bedarf und Nachfrage und verwässern möglicherweise ein klares Profil, das wir irgendwann einmal hatten.

Was es zu tun gilt

Wir haben also in Tat und Wahrheit keine Ahnung, was unsere Kunden wirklich kaufen wollen. Das sollten wir aber unbedingt. In unserem eigenen Interesse. Was gilt es somit zu tun?
Erstens müssen wir uns davon verabschieden "zu glauben", was Kunden kaufen wollen und die Antwort daher als noch offen betrachten. Auch wenn wir in unserem Markt Experten sind, so ticken Kunden oftmals anders als wir erwarten, sie arbeiten (im Kopf) mit Prioritätslisten und ändern zudem ihre Nachfragen laufend. Es gibt also per definitionem gar keinen stabilen Zustand von Nachfrage.
Zweitens schlage ich vor, dass wir unsere Kunden regelmässig – auch in ihrem eigenen Sinne – danach fragen, was sie so dringend brauchen, dass sie es auch wirklich in absehbarer Zeit kaufen wollen. Mit den richtigen Fragen im Sinne von "welche IT-Projekte wollt ihr in den kommenden 6 Monaten umsetzen" und nicht "wie gefällt euch unser IT-Produkt XYZ und könntet ihr euch vorstellen, das zu kaufen".
Urs Prantl kreiert zukunftssichere und gesund wachsende IT-Unternehmen und begleitet ihre Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Unternehmensnachfolge und beim Firmenverkauf. Gleichzeitig ist er Host des Podcasts Prantls 5A, in welchem die strategische Einzigartigkeit erfolgreicher IT-Unternehmen im Gespräch mit ihren Inhaberinnen und Inhabern im Dialog herausgeschält wird. Als Kolumnist äussert er auf inside-it.ch seine persönliche Meinung.

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