Vogt am Freitag: Die Politik bleibt analog

20. Oktober 2023 um 07:00
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Der Wahlkampf für die nationalen Wahlen endet dieses Wochenende. Weil digitale Themen keine Rolle gespielt haben, wird die nächste Legislatur wie die aktuelle: analog.

Am Sonntag sind nationale Wahlen. 5909 Kandidatinnen und Kandidaten wollen ins Parlament. Aber nicht mehr als geschätzt jede und jeder Tausendste davon hat sich konkret zu digitalen Themen geäussert. Auch die grossen Parteien blieben ausserhalb unseres Wahl-Reports still in Sachen Digital. Einzig die Piratenpartei bezog klar Stellung, aber das ist ja auch ihre DNA.

Wegweisende Digitalprojekte stehen an

Das erstaunt. In der nächsten Legislatur werden zukunftsweisende Projekte für die Bevölkerung unseres Landes umgesetzt: Die elektronische Identität kommt, das elektronische Patientendossier soll forciert werden und es könnte sich entscheiden, ob E-Voting flächendeckend eingeführt wird oder ob es bei den Pilotprojekten bleibt. Auch beim Thema Swiss Cloud dürfte es konkret werden: Es muss die Frage geklärt werden, ob die Schweiz eine eigene Infrastruktur baut oder sich auf ausländische Dienstleister verlässt.
Über alledem schweben die Themen Cybersicherheit und Künstliche Intelligenz. Bei Ersterem gehts darum, kritische Infrastrukturen und sensible Daten der Bevölkerung zu schützen, bei KI muss die Gratwanderung zwischen Regulierung und Innovation bewältigt werden.
Das sind eigentlich mehr als genug Themen, um sich im Wahlkampf zu positionieren. Aber wie erwähnt: Das ist nicht passiert und ich frage mich: Warum nicht?

Gendern statt Digitalpolitik im Wahlkampf

Eine mögliche Antwort könnte natürlich sein: Das interessiert die Stimmbevölkerung nicht. Wer lieber den "Gender-Wahn" zuoberst auf seine politische Agenda schreibt, als sich zu digitalpolitischen Themen zu äussern, löst damit zwar keine Probleme, holt dafür aber ein paar sichere Stimmen. Ganz falsch ist das aus Sicht der Mobilisierungskraft sicher nicht, aber ich halte die fehlende Digitalpolitik im Wahlkampf nicht für die Schuld von Herr und Frau Schweizer. Wie sollen sich diese für diese Themen interessieren, wenn sie von der Politik nicht aufs Tapet gebracht werden?
Für mich ist klar: Die Absenz dieser Themen im Wahlkampf ist vielmehr dem fehlenden Interesse und dem mangelnden Know-how der Politikerinnen und Politiker geschuldet. Sie wissen, wie man einen Acker bestellt oder kennen Paragraph 254 des Obligationenrechts auswendig , können aber nicht zwischen Ransomware und DDoS-Attacke unterscheiden.
Auch im aktuellen Parlament finden sich unter den 246 gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern höchstens eine Handvoll, die digitale Themen verstehen und sich auch noch dafür einsetzen. Ich denke da an Jörg Mäder und Judith Bellaiche von der GLP, Gerhard Andrey von den Grünen oder Min-Li Marti von der SP.

Alles bleibt beim Alten

Andere, die zwar das Know-how mitbringen würden, haben andere Themen auf ihrer politischen Agenda – zum Beispiel Jacqueline Badran von der SP. Oder sie sind wie die SVPler Franz Grüter und Mauro Tuena zuerst an Partei- und erst danach an Digitalpolitik interessiert.
Auf die (kleine) Gefahr hin, dass ich falsch liege, wage ich die Prognose: Dieses Wahlwochenende wird die Digitalkompetenz im nationalen Parlament nicht verbessern. Das ist schade, denn so gehts mit den für die Bevölkerung so wichtigen Digitalisierungsprojekten nicht wirklich vorwärts.
Immerhin bietet sich am 13. Dezember noch die Chance für eine Kurskorrektur: Bei den Ersatzwahlen von Bundesrat Alain Berset und Bundeskanzler Walter Thurnherr hat das neu gewählte Parlament die Gelegenheit, zwei Personen mit Digital-Know-how und Interesse an diesen Dossiers zu wählen. Das könnten zwei Trümpfe sein, damit E-ID, EPD und E-Voting doch noch erfolgreich umgesetzt werden – dies, ohne dabei die Cybersicherheit zu vernachlässigen. Doch Hoffnung habe ich wenig.

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