Bis 2030 müssen Dutzende Schweizer Spitäler ihre Software für das Patientenmanagement ablösen. Ihr bisheriger Lieferant SAP hat angekündigt, die
Lösung IS-H nicht mehr unterstützen zu wollen. Auf Silvio Frey vom IT-Consultant Detecon kommt nun viel Arbeit zu. Im Interview führt er aus, wie die verschiedenen Hospitäler die Migration angehen und welche Alternativen er sieht.
Wie beurteilen Sie den Entscheid von SAP, keine Nachfolgelösung von IS-H anzubieten?
SAP möchte sich künftig auf weltweit einheitliche Standardprozesse konzentrieren und stuft den Spitalmarkt als zu klein und zu komplex für eine dedizierte Lösung wie IS-H ein. Diese strategische Ausrichtung ist aus Sicht von SAP nachvollziehbar, bringt jedoch für die Schweizer Spitäler erhebliche Herausforderungen mit sich. Für viele Einrichtungen gleicht die bevorstehende Umstellung einem Systemwechsel "während des Flugs". Der Umbruch eröffnet aber auch Chancen: beispielsweise für die Neuausrichtung des Patientenmanagements, die Überprüfung und Optimierung bestehender IT-Modelle – etwa durch das Entfernen alter Code-Fragmente, erweiterte Analysemöglichkeiten oder für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Spitälern.
In der Schweiz sind rund 30 Kunden mit der Nachfolgelösung von IS-H betroffen. Wo stehen die Spitäler bei der Migration?
Der Stand der Migration ist unterschiedlich. Einige Häuser, wie das Kantonsspital Aarau, haben früh mit der Planung begonnen. Sie wollen zeitliche Engpässe vermeiden. Der erste Schritt ist meist die Umstellung von SAP ECC auf S/4Hana – ein technisches und organisatorisches Vorhaben, dessen Aufwand nicht zu unterschätzen ist und das entsprechend sorgfältig eingeplant werden sollte. Erst danach können sie das Patientenmanagement neu gestalten. Spitäler, die früh gestartet sind, befinden sich bereits in der Umsetzung oder Vorbereitung. Andere stehen noch ganz am Anfang der Planung.
Der Zeitplan für die Ablösung ist sportlich. Was geschieht bei denjenigen Kunden, die eine Migration nicht schaffen?
SAP hat das Support-Ende von IS-H bereits 2015 angekündigt. Die Vorlaufzeit ist lang, doch die Umstellung ist komplex. Gleichzeitig stehen Spitäler im täglichen Betrieb unter Druck. Wer nicht frühzeitig plant, riskiert Störungen in zentralen Abläufen, etwa bei der Patientenaufnahme, Abrechnung oder Leistungserfassung. SAP arbeitet mit Partnern an Übergangslösungen. Ziel ist, auch für Nachzügler tragfähige Modelle zu schaffen.
Sie sprechen die Erneuerung des ERPs an. Mit welchem Aufwand müssen die Kunden rechnen?
Die Umstellung auf S/4Hana ist technologisch und organisatorisch aufwendig. Allein der Aufbau der neuen Systembasis dauert rund eineinhalb Jahre. Über 100 Spital-Applikationen sind betroffen. Davon verarbeiten 30 direkt Patientendaten. Zusätzlich fordern Change Management, Team-Abstimmungen und das Tagesgeschäft die Organisation. Zentral sind eine gründliche Analyse der bestehenden IT-Struktur und eine klare Zieldefinition.
Wichtige Themen sind auch die Cloud-Migration, IT-Sicherheit, regulatorische Vorgaben wie das neue Tarifsystem Tardoc und der strategische Einsatz neuer Technologien.
Welche Alternativen sehen Sie zur Migration?
Wir sehen unterschiedliche Alternativen zur direkten Migration auf eine neue Lösung. Eine Option ist der Aufbau von Shared Services. Auch Kooperationen zwischen Spitälern bieten Chancen. Ziel ist es, Synergien zu nutzen und Prozesse zu vereinfachen. Ein weiterer Ansatz ist die Neuausrichtung des Patientenmanagements entlang der gesamten Behandlungskette. Dabei sollen alle Schritte von der Aufnahme bis zur Nachsorge besser aufeinander abgestimmt werden. Wichtig ist auch: Spitäler sollten bewusst entscheiden, welche Leistungen sie selbst erbringen und welche sie extern beziehen. So lassen sich Ressourcen gezielt einsetzen und Kosten senken.
Welche Lösungen existieren ausserhalb des SAP-Ökosystems?
Neben SAP bieten auch Anbieter wie Epic und Oracle Cerner umfassende Lösungen für das Patientenmanagement. Diese Systeme decken alle Prozesse von der Leistungserfassung bis zur Abrechnung ab. Besonders punkten sie durch ihre hohe Integrationstiefe und digitale Ausrichtung. Wichtig bei der Auswahl sind Kriterien wie medienbruchfreie Abläufe, modulare Strukturen, flexible Schnittstellen zu Partnern und Standorten sowie langfristige Zukunftssicherheit.
Solche Entscheidungen sollten immer Teil einer übergeordneten Digitalstrategie sein, nicht nur als Ersatz für IS-H. Denn der Systemwechsel bietet die Chance, IT und Prozesse grundlegend neu auszurichten.
Silvio Frey
Silvio Frey ist Senior Manager und Experte für Digital Health bei Detecon International. Er besitzt mehr als 20-jährige Erfahrung im Gesundheitsbereich, unter anderem als Head of Digital Health Solutions bei der Schweizerischen Post. Als Vorstandsmitglied der IG eHealth leitet er das Ressort Strategieentwicklung. Frey absolvierte den Executive MBA in Business Engineering an der Universität St. Gallen. Als Hochschuldozent ist er unter anderem an der Universität Bern tätig.