Das Hauptgebäude der ETH in Zürich. Foto: Alessandro Della Bella / ETH Zürich
Weil die Schweiz aus der "Champions League der Wissenschaft" ausgeschlossen wurde, verlieren hiesige Unis Fördermittel und Knowhow. Die ETH Zürich sowie die Unis Basel und Bern schildern ihre Probleme.
Seit die Schweiz nicht mehr mit dem Forschungsabkommen Horizon assoziiert ist, sind helvetische Beteiligungen an gesamteuropäischen Forschungsprojekten nur noch unter gewissen Voraussetzungen möglich. Der Verlust der vollständigen Assoziierung hat schwerwiegende Folgen für die Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Konflikt gipfelte darin, dass der EU-Forschungsrat eine Empfehlung herausgegeben hat, in der Forscherinnen und Forscher, die in der Schweiz tätig sind, aufgefordert werden, das Land zu verlassen.
Viele Politikerinnen und Politiker würden die Nachteile für die Schweizer Bildungsinstitute gerne aus der Welt schaffen: Unter anderem wurde der Bundesrat in einer Motion der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates aufgefordert, Verhandlungen mit der EU über eine spezifische Vereinbarung für die umgehende Assoziierung der Schweiz als Drittland zu führen. Ebenfalls thematisiert wurde das Problem bei einem Amtsbesuch von Bundesrat Guy Parmelin in Berlin.
Mit einem Fördervolumen von 95,5 Milliarden Euro ist Horizon Europe das grösste Forschungsprogramm der Welt. Während die Schweiz bis 2020 noch vollständig mit dem 6-jährigen 8. Rahmenprogramm Horizon 2020 assoziiert war, wurde das Land für das darauffolgende Rahmenprogramm Horizon Europe ab 2021 zu einem nicht assoziierten Drittstaat herabgestuft. Grund dafür sind die gescheiterten Verhandlungen über ein Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU.
Für die Schweiz fällt damit ein lukratives Geschäft mit Forschungsfördermittel weg. Noch 2016 antwortete der Bundesrat auf eine Interpellation des damaligen SVP-Nationalrats Felix Müri, dass während des 7. Rahmenprogramms von 2007 bis 2013 Beiträge in der Höhe von 2,2 Milliarden Franken an die gemeinsame Forschung mit der EU geleistet wurden, dabei aber ein Rückfluss von Fördermitteln in der Höhe von 2,4 Milliarden Franken verzeichnete wurde. Der Nettorückfluss betrug demnach über 200 Millionen Franken bei einem Rückflusskoeffizient von 1,1 über den gesamten Zeitraum, so der Bundesrat in seiner Antwort.
Das neuste Rahmenprogramm für Forschung und Innovation zielt darauf ab, die Wissenschafts- und Technologiegewinnung in der EU durch vermehrte Investitionen in hochqualifizierte Arbeitskräfte und Spitzenforschung zu stärken. Zusammen mit dem Konjunkturmassnahmenpaket Next Generation EU soll so der grüne und digitale Wandel in ganz Europa gefördert werden. Die Forschungsförderung Horizon Europe beinhaltet insbesondere das Forschungs- und Ausbildungsprogramm Euratom der Europäischen Atomgemeinschaft, das Digital Europe-Programm und die Beteiligung amthermonuklearen Versuchsreaktors ITER in Frankreich.
Inside IT hat bei verschiedenen nationalen Forschungsanstalten nachgefragt, inwiefern sich die Nicht-Assoziierung auf ihre praktische Arbeit auswirkt und welche Konsequenzen das politische Tauziehen für sie hat.
Geld und Renommee verloren
Übereinstimmend erklärten uns sowohl die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) als auch die Universitäten Bern und Basel, dass Forschende an Schweizer Institutionen nicht mehr für die sogenannten Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) antragsberechtigt sind, was für die Hochschulen ein grosses Problem darstelle. "Diese Grants, die anhand von strengen wissenschaftlichen Kriterien vergeben werden, sind hoch dotierte und prestigeträchtige Auszeichnungen", sagt Franziska Schmid, Mediensprecherin der ETH Zürich.
Die ERC Grants seien ein Förderprogramm für die Wissenschaft, wie es kein vergleichbares gäbe. Selbst beim Kleinsten dieser Preise (dem sogenannten Starting Grant für junge Forschende), würde rund eineinhalb Millionen Euro an Fördermittel an die Ausgezeichneten vergeben. Das sei mehr Geld als Forschende bei einem Nobelpreis erhalten würden, erklärt sie. Viel wichtiger als das Geld, sei aber das Prestige, das mit diesen Auszeichnungen verbunden sei.
Das Future Cities Lab an der ETH Zürich. Foto: Carlina Teteris / ETH Zürich
Matthias Geering, Leiter Public Affairs bei der Universität Basel ergänzt: "Dass Forschende an Schweizer Institutionen nicht mehr für die Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) antragsberechtigt sind, wird die Rekrutierung von Talenten erschweren." Die Auszeichnungen seien ein Qualitätsausweis, auf den junge, talentierte Forschende kaum verzichten werden. Der Wegfall der Auszeichnungen und der Kollaborationsmöglichkeiten hinterlasse eine Lücke, "die mit den Ersatzmassnahmen nur teilweise geschlossen werden kann." Insbesondere der internationale Wettbewerb und die Zusammenarbeit in einigen sich schnell entwickelnden Forschungsgebieten falle weg, so Geering.
Abfluss von Knowhow
Ähnlich klingt es auch bei der Universität in Bern. Der Ausschluss der Schweiz aus Horizon Europe bedeute für die Forschungsinstitute "bereits heute ein akutes Problem, da internationale Kollaborationen erschwert werden und die Schweizer Universitäten dadurch an Attraktivität verlieren." In absehbarer Zeit werde auch der Wirtschaftsstandort darunter leiden, da die Universitäten eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum gehe, Fachkräfte aus dem Ausland in die Schweiz zu bringen, so Nathalie Matter von der Uni Bern.
"Im Jahr 2021 erhielten vier Forschende der Universität Bern den Zuspruch für einen Starting Grant des ERC. Da der Preis als Folge der Nicht-Assoziierung nur an einer Institution im EU-Raum oder einem assoziierten Land angenommen werden kann, bedauern wir, dass sich eine Person entschieden hat, die Universität Bern zu verlassen, um sich einer europäischen Universität anzuschliessen", schreibt sie. Für die Uni bedeute dies neben dem akademischen Verlust auch einen Wegfall von Geldern.
Das gleiche Bild zeigt sich auch im Gespräch mitFranziska Schmid von der ETH in Zürich. 9 der 11 der aktuellen Starting-Grant-Gewinner und -Gewinnerinnen bleiben zwar an der ETH Zürich, weil die Bedingungen an der Hochschule so gut sind und zudem die Finanzierung der Fördergelder in diesen Fällen durch das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) übernommen worden ist. Die Grantees seien aber im internationalen und hoch kompetitiven Forschungsumfeld extrem begehrt, sagt Schmid. So offerierte zum Beispiel Schweden Universitäten und Hochschulen eine Provision von 100'000 Euro für die Abwerbung von Grant-Gewinnern.
Die Universität Basel teilte auf Nachfrage hingegen mit, dass es an ihrem Institut zu keinen solchen Abgängen gekommen ist.
Politik steht der Wissenschaft im Weg
ETH-Präsident Joël Mesot meinte in einem Interview: "Es kann nicht angehen, dass die Wissenschaft wegen politischer Uneinigkeiten auf der Strecke bleibt. Eine solche Situation lässt nur Verlierer zurück." Für die Schweizer Forschenden bedeute dies, dass sie nicht mehr in der "Champions League der Wissenschaft" mitspielen können und sich somit auch nicht mehr mit den besten Forschenden im europäischen Raum messen können.
Zusammen mit Grossbritannien, das wegen des Brexits ebenfalls nur noch als Drittstaat assoziiert ist, haben die Schweizer Hochschulen die Initiative Stick-to-science ins Leben gerufen. "Die Schweiz und Grossbritannien sind wissenschaftliche Schwergewichte, denen der volle Zugang zu Horizon Europe aus politischen Gründen verwehrt bleibt. Wir wollen mit dieser Initiative darauf aufmerksam machen, dass dieser Zustand weder im Interesse der Schweiz noch von Europa ist", erklärt Mesot. Tatsächlich belegen die Schweiz und Grossbritannien unter den besten Hochschulen und Universitäten in Europa – je nach Ranking – praktisch sämtliche der 10 ersten Plätze.
Nur noch Partner-Status
Für die Universität Bern bedeute die Nicht-Assoziierung, dass ihre Forschenden zwar weiterhin an der Mehrheit der Verbundprojekte teilnehmen können, aber nur als sogenannte "Associated Partner". Eine Projektkoordination durch eine Schweizer Institution sei nicht mehr möglich, teilte Nathalie Matter mit. Gemäss der Pressesprecherin musste die Universität Bern bereits bei vier neuen Horizon Europe-Projekten die Leitung abgeben. Dies sei besonders schwerwiegend in den Forschungsbereichen Biomedizin und Naturwissenschaften.
Hugues Abriel, ehemaliger Direktor des Department for Biomedizin und neu Vizerektor Forschung. Foto: Uni Bern
Auch die Universität Basel sagt: "Projekte, die unter Horizon 2020 gefördert wurden, können ohne Einschränkung abgeschlossen werden. Neue Projekte unter Digital Europe wird es mit dem derzeitigen Status der Schweiz nicht geben." Aktuell laufen in Basel noch 53 Verbundprojekte, 24 ERC Projekte und einige Projekte im Bereich der Informatik im Rahmen von Horizon 2020. Zudem gebe es derzeit insgesamt fünf Forschungsprojekte aus der Informatik, die noch von der EU finanziert werden und weitere Projektvorhaben, die aktuell unter Begutachtung seien, so die Uni Basel.
Nicht teilnehmen kann die Uni hingegen an den Teilprojekten unter Digital Europe, dem Quantum-Flagship-Projekt sowie weiteren Ausschreibungen, die von der EU als sicherheitsrelevant eingestuft werden. Besonders bedauert werde der Ausschluss aus dem Programm Quantum Flagship. Dies sei für die Uni besonders einschneidend, da sich die Basler Quantenwissenschaftler unter Horizon 2020 sehr erfolgreich beteiligt hätten, sagt Mediensprecher Matthias Geering. Die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich sei durch die Nicht-Assoziierung praktisch zum Erliegen gekommen.
Jelena Klinovaja gewann 2017 einen ERC Starting Grant für ihre Forschung zu Quantencomputern. Foto: Christian Flierl / Universität Basel
Die Ersatzmassnahmen
Dem Bundesrat scheint der Ernst der Lage klar zu sein. Am 20. Oktober 2021 hat er beschlossen, dass er die Finanzierung von betroffenen Forschenden und Innovatoren übernimmt und diese mit dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) koordiniert. Zudem hat er das WBF beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) allfällige Ergänzungs- und Ersatzmassnahmen zur Stärkung des Schweizer Forschungs- und Innovationsstandorts zu prüfen.
Anfang Februar wurde der Bundesrat auch in einer Motion der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates aufgefordert, Verhandlungen mit der EU über eine spezifische Vereinbarung für eine einmalige Erhöhung des Kohäsionsbeitrags zu führen. Mit der sogenannten Kohäsionsmilliarde unterstützt der Bund ärmere EU-Staaten finanziell. Durch eine Erhöhung der Zahlung sollen Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Gegenzug wieder Zugang zu den Forschungsprojekten der EU erhalten.
In einem nächsten Schritt will die Landesregierung das revidierte Bundesgesetz über die Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG) gestaffelt in Kraft setzen. Mit diesem sollen insbesondere KMU und Startups unterstützt werden, die aktuell keinen Zugang zum Förderinstrument Accelerator des European Innovation Council (EIC) haben. Zudem soll der Verband Innosuisse neu mehr Flexibilität bei der Förderung von Schweizer Projekten erhalten. Die revidierte Gesetzesbestimmung in Bezug auf Accelerator soll bereits am 15. April 2022 in Kraft treten, die übrigen per 1. Januar 2023.
Ob die finanziellen Ersatzmassnahmen der Regierung allerdings ausreichen werden, damit der Wirtschafts- und Forschungsstandort Schweiz nicht nachhaltig Schaden leidet, bleibt nach den Statements der Forschungsinstitute mehr als fraglich. Zumindest von Seiten der Wissenschaft scheint klar zu sein, dass sich der derzeitige Status der Schweiz als nicht-assoziiertes Drittland für alle Beteiligten nachteilig auswirkt.