Die lange Geschichte um die Einführung eines neuen Vorgangsbearbeitungssystems (Nevo) bei der Kantonspolizei (Kapo) Bern ist um eine Episode reicher. Die Rialto genannte Software von Deloitte ist
mit 2 Jahren Verspätung und nach
inzwischen 3 Zusatzkrediten im April in Betrieb gegangen.
Als ob Verzögerung und Kostenexplosion noch nicht genug sind, melden nun auch noch die Anwender bei der Berner Kapo öffentlich Kritik an. Demnach harzt es beim Tempo und auch die Fehleranfälligkeit der Software ist hoch.
Die Kritik an bei diesem von der Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft in Bern zusammen mit Deloitte und Swisscom entwickelten System zur medienbruchfreien Vorgangsbearbeitung kommt nicht wirklich überraschend. Denn laut Recherchen von '
SRF' wurde schon vor der Einführung von Rialto unter anderem ein Pilotprojekt zum Testen der Software abgebrochen. Bemängelt wurde damals, dass die Millionen-teure Software zu unausgereift sei und unzuverlässig arbeite.
Deloitte lobt sich vor Kunden selbst
Trotz all der Kritik hatte Deloitte-Direktor Remo Baltensperger am letzten Schweizer Polizei Informatik Kongress (Spik) im April die Rialto-Software mit (
Video) viel lobenden Worten vorgestellt. In seinem Vortrag liess der Consulting-Spezialist für Blaulichtsicherheitsorganisationen seine Zuhörer gleich zu Anfang wisse, dass die User-Akzeptanz bei der Kapo Bern "sehr, sehr gut" sei.
Nun bestätigen aber gegenüber '
SRF' mehrere Polizistinnen und Polizisten der Berner Kapo, dass nur schon die Bearbeitung einfacher Vorgänge sehr viel mehr Zeit als früher beansprucht. War ein Ausweisverluste am Schalter mit der alten IT in rund 5 Minuten erfasst, brauche dies nun fast eine Stunde. Aber die Software, ist gemäss den Anwendern nicht nur langsam, sondern auch fehleranfällig, wie man bei 'SRF' festhält. Ein Polizist, der anonym bleiben wolle, habe erklärt, "wir können unseren Auftrag nicht mehr so erledigen, wie das von der Polizei, einer kantonalen Behörde, eigentlich erwartet wird".
Zudem habe die Kapo Bern bestätigt, dass sich die Fehler auf die Bevölkerung ausgewirkt haben, heisst es weiter. Viele Fehler seien jedoch bereits lokalisiert und behoben worden. Dennoch stimme es, dass wegen Systemunterbrüchen bei Einvernahmen Daten verloren gegangen sind und Fehler der Software teils sehr belastenden Situationen zur Folge gehabt hätten, so die Kapo.
Zu Problemen schweigt Deloitte
Auf Anfrage von inside-it.ch will Deloitte keine Stellung nehmen. Auf die Diskrepanz zwischen seinen Ausführungen am Spik und den Rückmeldungen der Berner Polizistinnen und Polizisten angesprochen, sagt Baltensperger nur "kein Kommentar" und verweist auf die Pressestelle. Doch dort ist in der Sache von Deloitte-Sprecher Andreas Hammer noch weniger zu erfahren: "Wir bitten Sie jedoch um Verständnis, dass sich Deloitte weder zu Kunden noch zu Mandaten äussert."
Anders sieht es bei Swisscom aus, die in dem Projekt als Generalunternehmen agiert und direkt die App-Entwicklung, den Betrieb, die Infrastruktur und SAP-Lizenzen verantwortet, wie Pressesprecher Sepp Huber erklärt. Den Auftrag zur Umsetzung des auf SAP ICM (Investigative Case Management) basierten Projekts hatte Swisscom schon 2016 erhalten. "Deloitte verantwortet als Sublieferantin die Entwicklung des Kernsystems", beleuchtet Huber auf unsere Fragen hin die Hintergründe. Weiter erklärt er: "Wir haben zusammen mit der Kapo Bern ein System entwickelt, das von der App bei der Polizistin bis ins Backend durchgängig digital funktioniert. Das gibt es in der Schweiz und soweit wir wissen auch in Europa noch nicht." Er spricht von einem "Generationenprojekt", in dem die Kapo Bern mit seinen Lieferanten "Pionierarbeit" leiste.
Huber verschweigt zudem nicht, "dass es aktuell – ein knappes halbes Jahr nach Einführung – noch eine grössere Anzahl an Fehlermeldungen pendent ist". Wie 'SRF' berichtete, waren Ende Juni 600 Fehlermeldungen unbearbeitet. Bestätigt worden sei die Situation auch von der Kapo Bern, so Huber weiter. Bestimmte Arbeiten an der Front könnten dadurch tatsächlich mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Alle Beteiligten würden an der "Systemoptimierung" arbeiten und "viele Fehler" seien lokalisiert und behoben worden, führt Huber aus. Dieser Hinweis bestätigt wohl die Kritiker bei der Polizei, die schon im April dem Software-Hersteller vorwarfen, zu weit weg von der Polizeiarbeit gewesen zu sein. Und auch jetzt noch gab ein Polizist gegenüber 'SRF' zu Protokoll: "Wir fühlen uns als Versuchskaninchen und müssen nun helfen, die Fehler im Programm zu finden."