Die Schulinformatik der Stadt Bern braucht dringend einen Neustart. Zu diesem Schluss kommt der Gemeinderat aufgrund eines Expertenberichts. Vor einem Jahr
musste das Schulamt zurückrudern, nachdem der Open-Source-Ansatz mit dem Kern Collabro Online Office, einer Online-Version von LibreOffice, gescheitert war.
Das Millionenprojekt "Base4kids2" soll nun personell und organisatorisch neu aufgegleist werden, wie Bildungsdirektorin Franziska Teuscher (Grünes Bündnis) vor den Medien bekanntgab. So soll eine externe Projektleitung eingesetzt werden und dafür sorgen, dass das "Hightech-Hochseeschiff" wieder auf Kurs gebracht wird.
Der Zuschlag für Konzeption, Umsetzung, Einführung und Betrieb
war 2018 an Abraxas erteilt worden. Mit dem Projekt wollte die Stadt Bern den "Quantensprung", wie sie schreibt, initiieren, um den Digitalisierungsschub für die Umsetzung des Lehrplans 21 zu schaffen. Die 22 Volksschulen der Stadt Bern sollten sowohl neue Applikationen als auch eine neue IT-Infrastruktur erhalten.
Für die Erneuerung der Schulinformatik sprachen die Stadtberner Stimmberechtigten im November 2018 einen Investitions- und einen Verpflichtungskredit von insgesamt 24 Millionen Franken. Im vergangenen Herbst wurde die neue IT ausgerollt, die Kinder und Lehrkräfte erhielten neue iPads und Zugang zur zentralen Open-Source-Plattform "base4kids2".
Doch bald häuften sich die Klagen aus den Schulzimmern: Drucken sei fast unmöglich, Geräte stellten von alleine ab, Dokumente seien kaum zu bearbeiten. Genervte Lehrkräfte kritisierten, so sei kein vernünftiger Unterricht möglich. Das Angebot sei "mangelhaft und unausgereift", beschwerten sich Lehrpersonen in einem Brief. Es hätten sich "organisierte Widerstände" formiert, heisst es nun im Expertenbericht.
Neue Struktur, neuer Name, neues Geld
Schliesslich sah sich das Schulamt im Spätherbst 2019 zu einem Kurswechsel genötigt. Mittlerweile gelte Base4Kids2 an den Schulen geradezu als Reizwort, sagte Bildungsdirektorin Teuscher auf Anfrage der Nachrichtenagentur 'Keystone-sda'. Darum wird es vermutlich auch einen neuen Namen für das Projekt geben – und mehr Geld.
Wie teuer die Neustrukturierung wird, ist offen. Dass es einen Nachkredit braucht, ist aber sicher. Der Gemeinderat will dem Stadtrat im ersten Quartal 2021 einen entsprechenden Antrag stellen. Bereits im August hatte sich
Jörg Moor, der stellvertretende Leiter des Schulamtes dazu geäussert: Teurer werde das Projekt nicht unbedingt aus technischen Gründen, sondern primär, weil das Schulamt die Lehrpersonen besser unterstützen wolle.
Die Lehrkräfte, die sich nun seit einem Jahr über das System ärgern, sollen stärker eingebunden werden. Ein "Team Praxis" mit Vertretungen aus allen Schulkreisen wird ins Leben gerufen. Zudem sucht das Schulamt noch im Dezember einen Plattform- und Applikationsverantwortlichen, da sich die hauseigenen Ressourcen als ungenügend herausgestellt haben.
"Ich habe, wie auch andere Involvierte, das Projekt unterschätzt", räumte Bildungsdirektorin Teuscher ein. Erschwerend sei hinzugekommen, dass Ende 2019 die Leiterin des Schulamts pensioniert und fast gleichzeitig der Projektleiter ausgewandert sei. Dadurch sei ein "Kompetenzvakuum" entstanden.
Harsche Kritik an Abraxas und dem Schulamt
Teuscher vertraute zunächst darauf, dass sich die Probleme bis im Sommer 2020 lösen liessen. Als das nicht der Fall war, gab sie ein Gutachten in Auftrag. Der nun vorliegende Bericht der IT-Berater der Firma Mabuco kommt zum Schluss, dass ein Projektabbruch weder nötig noch sinnvoll wäre.
So wird festgehalten, dass die Hardware-Auswahl zielführend und die getätigten Investitionen daher gesichert seien. Als Arbeitsgeräte waren iPads vorgesehen. Die Umsetzung wird von den Untersuchenden aber als "klar ungenügend" eingestuft: "Die von Abraxas programmierten Applikationen sind teils instabil oder fehlerhaft."
Im Bericht werden Abraxas aber auch das Schulamt weiter kritisiert: Demnach waren die Vereinbarungen ungenügend definiert und auch Dokumentationen, um die Usability und die Qualität des integrativen Ansatzes zu messen, fehlten. Das Urteil fällt harsch aus: Sämtliche involvierten Parteien wären "massiv mehr in der Pflicht gestanden", Qualitätskriterien zu definieren und die Lösungswege danach auszurichten.
Es habe sich "ein grosser Graben zwischen den Lehrpersonen und dem Schulamt und dem Lieferanten Abraxas gebildet", heisst es im Bericht. Nun müsste geprüft werden, inwiefern die Firma den Richtungswechsel begleiten wolle und wie das Vertrauen zwischen Direktion und Lieferant aussehe.
Die Situation sei "verfahren, aber nicht unlösbar", bilanzieren die Gutachter. Der Gemeinderat entschied sich aufgrund dieser Erkenntnisse für eine personelle und organisatorische Neustrukturierung. Wer externer Projektleiter wird, ist noch offen. Im Schulamt brauche es zudem mehr personelle Ressourcen. Für die externe Projektleitung rechnet Bildungsdirektorin Teuscher mit 120'000 Franken, für die Stellenaufstockung mit weiteren 50'000 Franken.
Open-Source-Ansatz soll überdacht werden
Die Open-Source-Lösung habe die Projektprobleme noch verschärft, betonte Teuscher. Alternativen müssten geprüft werden. Der Stadtrat hatte auf Open Source gepocht, obwohl man in manchen anderen Städten offenbar bessere Erfahrungen mit Microsoft-Produkten gemacht hat – oder mit einer Kombination von beidem. Auch die externen Gutachter empfehlen nun, die Weiterverwendung des Open-Source-Systems zu überdenken.
Viele Fragen zur Neustrukturierung sind noch offen – so auch die Beschaffung zusätzlicher Notebooks für die Lehrkräfte. Denn die Stadt ist knapp bei Kasse. Deshalb will Teuscher prüfen lassen, ob man den Lehrkräften stattdessen einen Beitrag an ihr privates Notebook zahlen könnte.
Teuscher kündigte "rechtliche Abklärungen zum Projekt" an, "insbesondere zur Ausschreibung, zu den Verträgen und zur erfolgten Umsetzung". Im Bericht heisst es abschliessend: "Gemachte Fehler sind zu entschuldigen und die Erkenntnisse sind transparent zu kommunizieren."