"Four Transitions" zeigt Flip-Dot-, LCD-, LED- und TFT-Bildschirme im direkten Vergleich. Foto: Jürg Lehni / Museum für Gestaltung
Die Ausstellung "Planet Digital" des Museums für Gestaltung in Zürich versucht die Hintergründe der Digitalisierung aufzuzeigen. Dabei werden auch Dinge sichtbar, die sonst im Verborgenen bleiben.
Im Museum für Gestaltung beim Zürcher Hauptbahnhof lassen sich derzeit an der Ausstellung "Planet Digital" verschiedene Objekte betrachten, die Kunst und Informationstechnologie miteinander vereinen. Durch 25 Installationen soll die Wissenschaft hinter der Technik für Besucherinnen und Besucher sicht- und erlebbar gemacht werden. Entstanden sind die Werke, die unterschiedliche menschliche Sinne ansprechen sollen, durch Kollaborationen zwischen verschiedene Forschenden und Kunstschaffenden. Unser Junior Editor hat sich Zeit genommen und die Ausstellung besucht.
Begrüsst wird man im Museum für Gestaltung von drei Bildschirmen, die völlig anders funktionieren als herkömmliche Anzeigegeräte. Auf einer Art Lüfter oder Propeller werden verschiedene Logos von bekannten Technologiekonzernen oder von Applikationen dargestellt, die ineinander verschmelzen. Je nach persönlichen Präferenzen werden dabei verschiedene Symbole wahrgenommen. Während der kleine Junge neben mir grad sofort das Logo von Apples Safari-Browser erkennt, ist es bei mir eher der Fuchs von Mozillas Firefox, der mir sofort ins Auge sticht. Dass es sich bei der Darstellung der Bilder allerdings nicht um einen normalen Bildschirm handelt, zeigt sich erst, wenn ein Foto mit der Handykamera gemacht wird – nur so werden die einzelnen Rotorblätter erkennbar.
Eine weitere Kunstinstallation zu der Technologie hinter der digitalen Darstellung von Schriften und Formen ist das Objekt "Four Transitions". Auf vier verschiedenen Bildschirmen – je ein Flip-Dot-, LCD-, LED- und TFT-Modell – wird ein Kreis dargestellt, der sich auf allen Geräten gleichzeitig vergrössert oder verkleinert. So soll neben der gezeigten Darstellung auch der technologische Fortschritt von mehr als einem halben Jahrhundert sichtbar gemacht werden. Gerade das vertraute Klicken des Flip-Dot-Panels lässt einen nostalgisch an frühere Zug- oder Flugreisen erinnern.
Wo Edelmetalle herkommen
In einem Projekt mit dem Namen "Digital Gold" wird auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen von Bergleuten in der Demokratischen Republik Kongo aufmerksam gemacht. In kleingewerblichen Goldminen schürfen die Arbeitenden dort unter miserablen Bedingungen nach Edelmetallen. Dabei kommt es öfters auch zu schweren Unfällen. Gleichzeitig leistet der Bergbau in den betroffenen Regionen jeweils einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt von Millionen von Menschen.
Steve, ein kleingewerblicher Bergmann aus der Demokratischen Republik Kongo. Foto: Gabriel Kamundala / Museum für Gestaltung
Gemäss dem Museum werden etwa 7% des weltweiten Goldes für die Herstellung von Computern, Kameras, Smartphones und anderen technischen Geräten verwendet. Trotz des wichtigen Beitrags zur globalen Wirtschaft bleibe das Goldgeschäft dabei aber uneinheitlich und undurchsichtig. In einer Nische im Museum können sich die Besuchenden in eine virtuelle kleingewerbliche Goldmine begeben. Dort erkennt eine Kamera Körper-, Kopf- und Augenbewegungen und ermöglicht so eine Fortbewegung unter Tage. Dabei entsteht ein beklemmendes Gefühl von Enge, an dem sich erahnen lässt, wie schlimm die Arbeitsbedingungen für die Bergleute sein müssen.
Die Installation entstand aus einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen dem Departement Geographie der Universität Zürich und dem Immersive Arts Space der Zürcher Hochschule der Künste. Als Ausgangspunkt für die Simulation dienten dabei Fotografien, Videos und 3D-Scans, die der PhD-Kandidat Gabriel Kamundala im Sommer 2021 mit einem Smartphone aufgezeichnet hat. Das am weitesten verbreitete Gerät, in dem Gold und seltene Erden eingesetzt wird, bringe so die konkreten Lebensbedingungen vor Ort näher und mache gleichzeitig auch auf die Herausforderungen der Technologiebranche aufmerksam, schreibt das Museum.
Wie Verschlüsselung funktioniert
Mit einer ganzen Wand voller Lavalampen will die Ausstellung den Besucherinnen und Besuchern die Kryptologie näher bringen. Die Wissenschaft zur Untersuchung von Verschlüsselungen besteht im Wesentlichen aus der Kryptografie, die sich mit dem Ver- und Entschlüsseln von Nachrichten beschäftigt, und der Kryptoanalyse, die versucht, aus verschlüsselten Nachrichten ohne Kenntnis der Geheimsprache Rückschlüsse auf die ursprüngliche Nachricht herzustellen.
So einfach wie möglich wird die Geschichte von solchen – anfangs noch sehr rudimentären – Verschlüsselungen aufgezeigt. Über einfache Kodierungen bei denen Buchstaben durch Zahlen ersetzt werden, landet man bei der Caesar-Chiffre, bei der die Buchstaben im Alphabet um gewisse Positionen verschoben werden. Weiter geht es mit der Substitutions-Chiffre, bei der verschiedene Buchstaben miteinander vertauscht werden, und der Vigenère-Chiffre, bei der zusätzlich ein separater Schlüssel benötigt wird, um die Verschlüsselung aufzulösen. Schlussendlich wird auch die Funktionsweise von modernen Verschlüsselungsverfahren aufgezeigt, die mit Bits arbeiten.
Um das Erlernte auch gleich in der Praxis umzusetzen, gibt es dazu einen geheimen Code, den es zu knacken gilt. Das Museum bringt dem Publikum so die Geschichte der Kryptologie auf spielerische Art und Weise näher. Auf die Erklärung, was die Lavalampen in der Ausstellung mit der Verschlüsselungstechnologie des US-Sicherheitsdienstleisters Cloudflare gemeinsam haben, verzichten wir an dieser Stelle bewusst.
Vernetzung unter Wasser
Verschlüsselungen, wie oben beschrieben, kommen oft auch in der internationalen Kommunikation im Internet zum Einsatz. Damit dies überhaupt gewährleistet werden kann, sind kilometerweise Untersee-Glasfaserkabel nötig, die diese Informationen von einem auf den anderen Kontinent transportieren. Um die Dimensionen dieser Netzwerke im Museum sichtbar zu machen, laden sich die Besuchenden eine App mit dem Namen "Turf Hunt" herunter.
Die mobile Applikation nimmt einen mit auf eine Reise der Daten. Eine gestrichelte Linie am Boden weisst den Besuchenden den Weg. Bei einem Objekt angekommen, erklärt einem die Erzählstimme der App die Geschichte und Hintergründe zu den einzelnen Netzwerkkomponenten. Unter anderem wird erklärt, wie Unterseekabel verlegt werden, aber auch, wie die gezeigten Gegenstände funktionieren oder was deren Aufgabe im globalen Internet ist. Neben ihrer Geschichte und der Funktion versucht die Audio-Führung auch auf die politischen Kräfte, die Veränderungen im globalen Internetsystem vorantreiben, aufmerksam zu machen.
Deep Fakes ausprobieren
Die immersive Installation "All the Lives" erlaubt es dem Publikum, sich mittels Deep Fakes in eine alternative Lebenssituationen zu begeben. Dazu wird in einem ersten Schritt eine Bild- und Stimmprobe der Besucherinnen und Besucher von einem Computer aufgenommen, der einem herkömmlichen Fotoautomaten durchaus ähnlichsieht. Die Stimm- und Bilddaten werden dann in einem zweiten Schritt durch einen Deep-Fake-Algorithmus in verschiedene Kurzfilme eingebunden. Der Prozess dauert rund 15 Minuten. In den Filmen sehen sich die Besucherinnen und Besucher dann beispielsweise als ältere Menschen auf der Terrasse eines Strandhauses oder einsam an einem Tisch sitzen, bei der Arbeit im Büro oder als sportlich aktive Person, die auf einen Boxsack einschlägt.
Deep Fakes sind fiktive Realitäten, die durch hochkomplexe Algorithmen erzeugt werden. Quasi in Echtzeit verändert der Computer die gemachten Video- und Audioaufnahmen, um so die Wahrnehmung der Besuchenden zu beeinflussen. Dabei setzen die Algorithmen gemäss dem Museum ausgerechnet bei den Merkmalen an, die unsere so einzigartige und individuelle menschliche Identität charakterisieren: bei der Stimme oder dem Gesicht. Das sei insofern beachtlich, da diese Wissenschaft noch in den Kinderschuhen stecke.
Oft werden Deep Fakes mit missbräuchlicher Nutzung assoziiert. Doch während die Technologie im gesellschaftlich-politischen Bereich grosses Potenzial zur Verbreitung von Falschinformationen hat, beschränkt sich der Bereich der Kunst und Unterhaltung oft darauf, bekannten Menschen neue Worte in den Mund zu legen oder die Gesichter der Handelnden auszutauschen. Sein eigenes Ich auf einer Leinwand in einer völlig fremden Rolle und Situation zu sehen, hinterlässt ein komisches Gefühl und regt durchaus – wie auch von den Kunstschaffenden gewünscht – dazu an, seinen eigenen, konkret gelebten Lebensentwurf zu reflektieren und sich zu fragen: "Was wäre, wenn…?".
Geistreicher Abschluss
Ein theologischer Roboter der Menschen segnen kann. Foto: Evangelische Kirche in Hessen und Nassau / Museum für Gestaltung
Neben den oben beschriebenen Ausstellungsobjekten gibt es noch mehr zu sehen: In einem hypothetischen Kriminalfall können die Besuchenden der Polizei bei der digitalen Forensik über die Schulter schauen und dabei gleichzeitig auch ein Verbrechen aufklären. Es können verschiedene Schweizer Videospiele gespielt werden, die jeweils unterschiedliche Spielansätze verfolgen. Die gestalterische Entwicklung der Computermaus wird aufgezeigt und auch inwiefern dieses Arbeitsgerät mit Handverletzungen oder -beschwerden zusammenhängt. In einer Art Kino wird zudem mit verschiedenen Kurzfilmen vermittelt, inwiefern Algorithmen unfaire Entscheidungen treffen und dabei Menschen diskriminieren können.
Zum Abschluss der Ausstellung kommt man an "BlessU-2" vorbei. Der religiöse Roboter wurde entwickelt, um geistliche Segnungen zu sprechen. Seine Präsentation anlässlich des Reformationsjubiläums im deutschen Wittenberg sorgte 2017 zu einer Vielzahl an polarisierenden Medienberichten und Kommentaren von religiösen genauso wie von nicht-religiösen Menschen. Obwohl es sich dabei nicht wirklich um einen Roboter, sondern eher um eine stilisierte Version eines solchen handelt, haben Studien gezeigt, dass der Segensroboter eine Vielzahl von Emotionen hervorrufen kann und auch in der Lage ist, diese immer wieder von Neuem hervorzurufen.
Für alle sehenswert
Auch wenn eine Informatikerin oder ein Informatiker sich wohl nur schwer für einen leeren Serverraum oder einen Haufen Elektroschrott als Kunstobjekt begeistern lassen wird, so lässt sich doch sagen, dass die Ausstellung ideal ist, um Kindern oder technisch weniger versierten Menschen die Zusammenhänge hinter der Digitalisierung auf einfache Art und Weise zu erklären. Dazu bringt sie aber auch für fachlich bewandte Besuchende die eine oder andere Neu- oder Besonderheit hervor, die erforscht werden will oder zum Nachdenken anregt.
Teile der Ausstellung können auch digital betrachtet werden. Für ein vollständiges Erlebnis und die Aktivierung aller Sinne, wird man allerdings nicht um einen physischen Besuch herumkommen.
Weiterführende Informationen
Die Ausstellung "Planet Digital" wurde von der Universität Zürich (UZH) und dem Museum für Gestaltung initiiert und gemeinsam mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Algorithmwatch Schweiz entwickelt. Finanziert wurde das Projekt durch die Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen und die Stiftung Mercator Schweiz. Noch bis zum 6. Juli 2022 können die verschiedenen Installationen im Museum für Gestaltung Zürich an der Ausstellungsstrasse 60 betrachtet werden.