Das Debakel bei der Einführung der neuen Berner Schulinformatik geht auf eine Reihe strategischer Fehler und auf ungenügendes Projektmanagement zurück. Zu diesem Schluss kommt die Aufsichtskommission des Stadtrats. Für das Projekt mit dem Namen "base4kids2" hatte die Stimmbevölkerung 2018 insgesamt 24 Millionen Franken gesprochen. Später wurde ein
Nachkredit von 2,7 Millionen Franken nötig.
Die parlamentarische Aufsichtskommission präsentierte nun ihren Untersuchungsbericht, der sich auf die politischen und strategischen Fragen konzentriert. Sie sagt: Die Stadt habe innert kürzester Zeit eine schweizweit einmalige Schulplattform entwickeln wollen, ohne über genügend Ressourcen und das notwendige Wissen zu verfügen.
Bei der Ausschreibung sei juristisch korrekt gehandelt worden, so Claudine Esseiva (FDP), Leiterin des Untersuchungsausschusses. Doch eine Endnutzer-Analyse habe man nicht gemacht. Man habe sich also nicht gefragt, was die Schulen genau bräuchten. Zudem weist die Kommission darauf hin, dass sich jenes Angebot durchgesetzt habe, das als einziges keine bereits am Markt erprobten Module umfasste. Auch habe man die Kenntnisse der Lehrkräfte wohl überschätzt und den Support-Bedarf massiv unterschätzt.
Unter "wahnsinnigem Zeitdruck" sei die Lernplattform ab Herbst 2019 eingeführt worden. Lange Zeit sei verwaltungsintern alles schöngeredet worden. Dabei gab es aus den Schulen von Beginn weg Klagen: Drucken sei fast unmöglich, Geräte stellten von allein ab, Dokumente seien kaum zu bearbeiten. Lehrkräfte kritisierten, ein vernünftiger Unterricht sei so nicht möglich.
So kam es zum Debakel
Der Zuschlag für Konzeption, Umsetzung, Einführung und Betrieb war
2018 an Abraxas erteilt worden. In einem Bericht der IT-Berater Mabuco vom Herbst 2020 wurde neben dem Schulamt auch der IT-Anbieter aus St. Gallen kritisiert: Sämtliche involvierten Parteien wären "massiv mehr in der Pflicht gestanden", Qualitätskriterien zu definieren und die Lösungswege danach auszurichten, hiess es dort.
Laut der parlamentarischen Aufsichtskommission hat Abraxas aber schon 2019 zwei Dinge moniert: Zum einen wurde vom IT-Haus darauf hingewiesen, dass bei der Projektleitung wichtige Ressourcen fehlen würden. Zum anderen bemängelte Abraxas, dass in der Ausschreibung des Kantons nicht nach einer Test- und Integrationsumgebung gefragt worden war. Auch der Zeitdruck war laut dem Bericht an Sitzungen Gegenstand der Diskussion, da dieser die Qualität der Applikationen negativ beeinflusste.
Allerdings hält die Aufsichtskommission auch fest, dass aufgrund des mangelnden internen Know-hows in Bern das Wissen und die Kompetenz von Abraxas habe gekauft werden müssen. Die Firma wurde dazu in den Steuerungsausschuss geholt. "So wurde aus dem Anbieter quasi der Projektleiter", heisst es im Bericht. Es entstehe der Eindruck, dass dadurch "insbesondere die Einschätzung bezüglich der Zielerreichung des Projektes" beeinträchtigt worden sei. So sei seitens des Anbieters zusammen mit den städtischen Informatikdiensten Druck ausgeübt worden, das Projekt zeitnah zu beenden. Abraxas wollte sich auf Anfrage von
inside-it.ch zu den Vorwürfen nicht äussern.
Nachdem der Abschluss des Projektes vom Sommer auf den Herbst 2019 verschoben worden war, nahm man in Bern nach den Herbstferien die Geräte der Schüler ohne Testvorlauf in Betrieb. Seitens der Lehrpersonen, deren Einführung in die neue Infrastruktur sich laut Bericht "zeitintensiver und schwieriger als erwartet" gestaltete, entstand eine Negativspirale: Softwareprobleme, Schwierigkeiten bei der Anwendung, fehlende Akzeptanz und unzureichende Nutzung der neuen Lösung. Feedback aus den Schulen sei dabei nicht genügend berücksichtigt worden, hält die Aufsichtskommission nun fest. Der Umgang mit Kritik gehöre genau wie das fehlende Risikomanagement zu den zentralen strategischen Fehlern.
Richtungswechsel: Microsoft statt Open Source
An einer Sondersitzung des Projekt-Steuerungsgremiums Anfang 2020 wurde schliesslich die hohe Komplexität eingeräumt, ein Abbruch des Projekts aber nicht in Betracht gezogen. Stattdessen wurden Tests vor Ort und zusätzlich Ressourcen beschlossen. Ein Plan B, so heisst es von der Aufsichtskommission nun, habe gefehlt.
Wie die Situation heute ist, beantwortete die Aufsichtskommission nicht. Es sei nicht ihre Aufgabe dies zu bewerten, so die Vertreter. Auch wie viel Geld bislang in den Sand gesetzt worden ist, liessen sie offen. Klar sei indes, dass angesichts der hohen Kosten und der vielen betroffenen Lehrkräfte, Eltern und Schulkinder einige Lehren für die Zukunft gezogen werden müssten. Die Kommission richtet eine Reihe von Empfehlungen an die Stadtregierung und die Bildungsdirektion unter Gemeinderätin Franziska Teuscher (Grünes Bündnis).
Wie man ein weiteres Desaster vermeiden will
Grossprojekte wie "base4kids2" müssten künftig klar als Chefsache behandelt werden, sagte Kommissionspräsidentin Edith Siegenthaler (SP). Probleme müssten rechtzeitig erkannt werden, sodass man reagieren könne. Weiter müssten die verschiedenen Direktionen und Abteilungen zwingend konstruktiv zusammenarbeiten.
Auch brauche es verwaltungsintern mehr Kompetenz für Informatikprojekte. Diese müssten von der Stadtverwaltung professionell begleitet werden können, ohne dass man sich in eine Abhängigkeit von Informatik-Anbietern begebe.
Der Bericht der Kommission wird nun dem Stadtrat vorgelegt. Die GFL/EVP-Fraktion zeigte sich in einem Communiqué "beunruhigt" über die Vielzahl von Fehlentscheidungen bei "base4kids2". Das Schulamt müsse dringend besser aufgestellt werden.
Der Bericht der Aufsichtskommission kann von der Website der Stadt Bern als
PDFPDF heruntergeladen werden. Auch der Bericht der IT-Berater Mabuco ist dort als PDF zugänglich.