Der "Unterschriften-Bschiss", wie der '
Tages-Anzeiger' (Paywall) seine Recherche zu gefälschten Unterschriften bei Volksinitiativen titelte, erschütterte die politische Schweiz diese Woche. Nun ja, zumindest ein bisschen. Ich finde: zu Recht. Das systematische Fälschen von Unterschriften ist kein Kavaliersdelikt und es ist den Verantwortlichen hinter der Service-Citoyen-Initiative sehr hoch anzurechnen, dass ihnen dies a) auffiel und dies b) publik gemacht wurde. Viele Initiantinnen und Initianten haben zuvor entweder nicht genau genug hingeschaut oder darüber hinweggesehen.
Unter dem Strich gibt es bei der Sammlung von Unterschriften für Initiativen oder Referenden ein grosses und ein kleines Problem – und beide hängen zusammen:
- Das kleine Problem: Die Verantwortung zur Prüfung der Rechtmässigkeit der eingereichten Unterschriften liegt bei den Gemeinden. Bei kleinen Dörfern ist der Aufwand überschaubar, bei Städten kaum bewältigbar.
- Das grosse Problem: Es gibt kein Register mit handschriftlichen Unterschriften. Es ist also faktisch unmöglich festzustellen, ob der Name zur Unterschrift gehört oder nicht.
Beide waren bis zum Aufkommen der Unternehmen, die für Geld Unterschriften sammeln, kein grosses Problem. Erst wenn jemand für eine einzelne Unterschrift plus-minus einen Fünfliber verrechnen darf, ist der Reiz zum Betrug da. Die politische Debatte zum Verbot dieser Firmen ist lanciert und muss meiner Meinung nach auch seriös geführt werden. Doch darum soll es hier nicht gehen.
E-Collecting ist weniger demokratierelevant als E-Voting
Mir geht es um Folgendes: Es gibt eine Lösung, wie eingereichte Unterschriften mit überschaubarem Aufwand überprüft werden können. E-Collecting, also die elektronische Sammlung von Unterschriften. Doch überstürzt werden sollte auch diesbezüglich nichts, wie die '
NZZ' (Paywall) in einem Kommentar richtig anmerkt.
Primäre Fragen, die geklärt werden müssen, drehen sich um Sicherheit und Datenschutz. Die E-Collecting-Plattform muss so sicher gebaut sein, dass niemand erfährt, wer seine Unterschrift für Initiative A und wer für Referendum B geleistet hat. Allerdings gehe ich so weit zu behaupten, dass eine E-Collecting-Plattform weit weniger problematisch für die Demokratie ist, als eine E-Voting-Plattform. Und diese ist bekanntlich in mehreren Kantonen bereits im PIlotbetrieb.
Zeitpunkt für E-Collecting-Tests ist perfekt
Anders als die 'NZZ' kommentiert, sehe ich das Problem von einer "tektonischen Verschiebung zwischen der direkten und der repräsentativen Demokratie" nicht. Es gäbe mehr Initiativen, weil "in der Mausklick-Demokratie plötzlich jede Online-affine Gruppe genügend Unterschriften sammeln könnte". Stimmt nicht, behaupte ich.
Mehrere Studien zu E-Voting (zum Beispiel
jene der Stiftung CH) haben gezeigt, dass sich das Elektorat nicht wesentlich vergrössert, wenn elektronisch abgestimmt werden kann. Weshalb sollte das bei E-Collecting anders sein? Die von der Zeitung ins Spiel gebrachte Erhöhung der Unterschriftenzahl braucht es dennoch, aber aus einem anderen Grund: Die Anzahl der benötigten Unterschriften ist seit über 100 Jahren gleichgeblieben, die Bevölkerung jedoch stets gewachsen ist. Dies aber nur als Randbemerkung.
St. Gallen ist Pionierkanton
Die Bedenken gegen E-Collecting sind meiner Meinung nach vernachlässigbar, wenn es in einem vernünftigen Rahmen eingesetzt wird. Mehr noch: Der Zeitpunkt, um diese Sammelmethode zu testen, ist jetzt genau der richtige. Mir ist es wichtig zu betonen, dass es eine Testphase geben muss – auch in puncto Sicherheit der eingesetzten Systeme. Hektik wäre fehl am Platz, dennoch ist es angezeigt, jetzt damit anzufangen. Warum?
Richtig Sinn ergibt E-Collecting erst mit der staatlichen
E-ID, die ab 2026 verfügbar ist. Darüber können sich dereinst alle Bürgerinnen und Bürger, die das wollen, online identifizieren und zum Beispiel ihre digitale Unterschrift unter eine Initiative setzen. Bund, Gemeinden und Kantone sollten die verbleibenden gut zwei Jahre nutzen, um Erfahrungen mit E-Collecting zu machen – um es dann parallel mit der E-ID einzuführen (sofern die Tests positiv verlaufen sind).
Quoten können am Anfang für Stabilität sorgen
Analog zum E-Voting wäre es falsch, E-Collecting flächendeckend einzusetzen. Man könnte auch über die Testphasen hinaus gesetzliche Limiten festlegen, dass zum Beispiel nur 20% der eingereichten Unterschriften über den digitalen Kanal gesammelt werden dürfen – und diese Quote dann je nach Akzeptanz der Methode über die Jahre langsam erhöhen. So wird sichergestellt, dass das Politsystem nicht von heute auf morgen mit einer Flut an Initiativen überschwemmt wird und die heutige Balance gehalten wird.
Ergänzend zum Kuli ergibt die digitale Unterschrift für Initiativen und Referenden per Klick absolut Sinn. Die Frage ist also nicht "Klick oder Kugelschreiber", sondern es müsste heissen: Klick und Kugelschreiber. Die Zeit ist reif dafür, wir sollten sie jetzt nutzen.