Kleines Dorf wehrt sich gegen grosses Rechenzentrum

13. September 2023 um 12:45
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Geplantes Rechenzentrum (rechts) und Tech-Park beim Steinbruch Andocens. Visualisierung: Arcos'arre

Der Baustart des Millionenprojekts in Saint-Triphon verzögert sich. Die Pläne stossen auf Widerstand. Kantonsrat Alberto Mocchi begründet seine Kritik.

Im Sommer 2021 wurden die Pläne für ein Rechenzentrum in Saint-Triphon bekannt. Im kleinen Dorf in der Waadtländer Region Chablais soll eines der grössten Schweizer RZs entstehen: 3000 Racks in 3 Gebäuden, auf einer Gesamtfläche von 14'000 Quadratmetern. Angrenzend an das Data Center ist auf dem Gelände beim Steinbruch von Andocens auch ein Technologiepark geplant. 400 Millionen Franken soll das Gesamtprojekt kosten: 250 Millionen das RZ, 150 Millionen der Tech-Park.
Es handelt sich um ein Privatprojekt, das aber von der Gemeinde Ollon, zu der Saint-Triphon gehört, begrüsst wird: "Es bringt die Schaffung von 60 Arbeitsplätzen mit hoher Wertschöpfung, wirtschaftliche Nebeneffekte für die Gemeinde und die Region Chablais." Alain Audemars, Direktor des verantwortlichen Architekturbüros Arcos'arre in Martigny, sagte damals gegenüber inside-it.ch, dass die erste Halle im Dezember 2022 fertig gebaut sein und das RZ darin im Juni 2023 in Betrieb gehen sollte. Bis jetzt ist allerdings noch keine Baumaschine in Saint-Triphon aufgefahren.
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Visualisierung: Arcos'arre
Gegen das Projekt regte sich Widerstand. Pro Natura befürchtet, dass der natürliche Lebensraum von Uhus, Amphibien und weiteren Tieren im Steinbruch bedroht ist. Die Anwohnervereinigung Saint-Triphon Gare kritisierte den Stromverbrauch des RZs und bemängelte: "Das Projekt steht auf wackligen Beinen und ist schlecht in seine Umgebung integriert." Von verschiedenen Gruppierungen und Personen vor allem aus dem Dorf sind aktuell noch 6 Einsprachen gegen den Bau hängig.

"Extrem energieintensiver Charakter"

Im Waadtländer Kantonsrat wurde im vergangenen April von 18 Parlamentarierinnen und Parlamentariern eine Interpellation mit dem Titel "Rechenzentrum Saint-Triphon: Massnahmen gegen Übermass?" eingereicht. Sie fragen den Staatsrat unter anderem: "Inwiefern ist die Ansiedlung von Rechenzentren und anderen energieintensiven Industrieanlagen auf dem Kantonsgebiet abseits von Siedlungsschwerpunkten, also ohne mögliche vollständige Nutzung der Abwärme, mit der Energiestrategie des Staatsrats vereinbar?"
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Alberto Mocchi.
Erstunterzeichner der Interpellation ist Alberto Mocchi, Kantonsrat der Grünen und seit kurzem Generalsekretär von Pro Natura. Er erklärt auf unsere Anfrage: "Was an diesem Projekt auffällt, ist sein extrem energieintensiver Charakter und sein Standort, weit weg von anderen Gebäuden und in einem Gebiet mit einem gewissen Umweltinteresse."
Zum Projektstart hatte Architekt Audemars stets die Umweltverträglichkeit des RZs betont: "Die Besonderheit des Projekts liegt in der Erzeugung von sauberer Energie, das heisst 1,5 und 2 Megawatt durch Photovoltaik und 3 Megawatt durch Wasserstoff." Mocchi bestreitet das nicht. "Es ist eine sehr gute Sache, dass immer mehr Gebäude so konzipiert werden, dass sie einen Teil der Energie, die sie verbrauchen, selbst erzeugen. Aber man muss dies im Zusammenhang mit dem Verbrauch des Gebäudes sehen, der auf 60 Gigawatt geschätzt wird. Wir sprechen also von einem Verhältnis von 1 zu 1000 und sind damit sehr weit von einem Gebäude entfernt, das sich der Selbstversorgung annähert." Die fehlende Energie werde man anderswo holen müssen.

Wasser aus der Rhone nutzen

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Screenshot: Google Maps
Die Projektverantwortlichen haben kürzlich eine neue Energienutzung ins Spiel gebracht, wie '24 heures' (Paywall) berichtet. Sie wollen das Wasser der Rhone in Zusammenarbeit mit dem Abfallentsorger und Energielieferanten Satom aus Monthey (VS) nutzen. Ein Teil des bereits bei Satom verbrauchten Wassers würde so über unterirdische Leitungen zum Rechenzentrum geleitet. "Das Wasser würde nach dem Durchlaufen des Rechenzentrums durch eine Wärmepumpe weiter erhitzt und seine Energie in unser zukünftiges Fernwärmenetz zurückgespeist", erklärte Satom-Geschäftsführer Daniel Baillifard.
Alberto Mocchi sagt zu diesen Plänen: "Ich denke, es ist ein Schritt nach vorne im Vergleich zum ursprünglichen Projekt. Aber es löst nicht die Frage des gigantischen Energieverbrauchs dieses Data Centers und wirft andere Fragen auf, wie die nach der Energieeffizienz von Wasser, das über so lange Strecken transportiert wird."

Baubeginn im März 2024?

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Visualisierung: Arcos'arre
Er betont, "keineswegs" den wachsenden Bedarf an Datenspeicherung zu bestreiten. "Meine Interpellation zielt nicht darauf ab, das Projekt zu stoppen, und hätte auch nicht die Befugnis dazu. Sie zielt vielmehr ganz allgemein darauf ab, den Staatsrat nach seiner Durchführbarkeit und Relevanz zu fragen." Der ideale Standort von Rechenzentren liege eher in bebauten Gebieten, "wo die erzeugte Wärme leichter wiederverwendet werden kann". Und nicht bei einem Dorf mit rund 350 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Architekt Audemars hingegen erklärte gegenüber '24 heures', dass eine mögliche Zusammenarbeit mit Satom das Projekt deutlich voranbringen würde. "Wir hoffen, dass wir mit dem Bau beginnen können." Sein neuer Zeitplan lautet: "Die Bauarbeiten sollen im März 2024 beginnen und das erste Gebäude im Dezember 2026 übergeben werden. Das gesamte Gelände sollte bis 2028 fertiggestellt sein." Das RZ werde "für einen grossen Investor" entwickelt, "einen europäischen Investor mit Niederlassungen in der Schweiz".

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