Wir haben uns Cardossier, Quartierstrom und dHealth Network angesehen und kommen zu einem durchwachsenen Fazit. Die Gründe erfahren Sie hier im dritten Teil des Blockchain-Reports.
In der Schweiz wurden diverse Blockchain-Projekte mit Pauken und Trompeten angekündigt, allerdings nur zum Teil effektiv durchgeführt. Meist ging es dabei um sogenannte "private Blockchains" (Glossar). Wie im ersten Teil der Serie argumentiert, schränkt das den Innovationsgehalt erheblich ein und steht eher in der Tradition älterer verteilter Systeme. Wir wollten dennoch wissen, was aus den grossen Vorhaben geworden ist, die mit dem Etikett "Blockchain" versehen worden sind, und haben verschiedene Projekte unter die Lupe genommen.
Im 1. Teil des Blockchain-Checks geht es um die drei Vorhaben Cardossier, Quartierstrom und dHealth Network, die gemeinhin als erfolgreich gelten. Die Befunde in Sachen Blockchain sind aber durchzogen – auch jene der Projektverantwortlichen selbst. Offenbar liessen sie sich zum Teil vom Hype mitreissen.
Cardossier: Vom Blockchain-Projekt zum System mit "Blockchain"-Elementen
2018 wurde von einem hochkarätigen Konsortium eine Plattform namens Cardossier angekündigt. Auf dieser sollen die hierzulande jährlich rund 800'000 Besitzerwechsel von Autos auf einer Blockchain abgewickelt werden. Im Sommer 2020 ging die Plattform fristgerecht live, allerdings wurden vorerst nur Identitäten von Fahrzeugen eingespiesen; der "Überschreibungsprozess" fehlt bis heute.
Die letzte Mitteilung von Cardossier datiert auf den Launchtermin zurück, seither ist es um das Projekt ruhig geworden. Auf die Stille angesprochen erklärt Cardossier-CEO Franziska Füglistaler lachend: "Wir müssen mittlerweile 26 Firmen koordinieren, wenn wir an die Öffentlichkeit gehen wollen".
Man sei aber durch Corona auch tatsächlich etwas zurückgeworfen worden, gesteht sie ein. Die Plattform decke mittlerweile rund 80% des Automarktes ab, hinke aber bei der Anbindung an den Fahrzeugwechsel rund 1 Jahr hinterher. Dieser soll nun im Laufe des Jahres erfolgen.
Franziska Füglistaler
In Sachen Blockchain hat man bei Cardossier allerdings redimensioniert und ist zugleich von Hyperledger auf Corda migriert: Es sind nur noch bestimmte Dinge, wie die Fahrzeugidentität auf der "Blockchain" hinterlegt, während die übrigen Anwendungsfälle wie Versicherungen zwar über eine Distributed Ledger Technologie (Glossar) abgewickelt werden, aber nicht im Blockchain-Verfahren, wie Füglistaler erklärt. "Wir haben einfach gesehen, dass die Data Privacy etwa im Versicherungsgeschäft, dem reinen Blockchain-Ansatz einen Strich durch die Rechnung macht", so die Managerin.
Genau besehen heisst das: Die Stakeholder verwalten eine dezentrale Datenbank – jener Teil, der unter dem Begriff "Blockchain" gehandelt wird, ist einfach in einer Kette verbunden. Dies soll Abweichungen in den Datenbanken vermeiden und die Gewissheit erhöhen, dass die Daten aktuell und korrekt sind, wie es in einem Papier von CTO Matthias Löpfe heisst.
Mit dem innovativen Ansatz einer öffentlichen Blockchain, hat das wenig zu tun. Cardossier dürfte damit eher in der Tradition der verteilten Datenbanken stehen, die seit den 1980ern beforscht werden. Das zeigt sich exemplarisch am Validierungsprozess: Auf Corda, einer DLT-Lösung für regulierte Bereiche, wird der Konsens (Glossar) bei Cardossier derzeit noch von einem Notar hergestellt, dies soll aber in einem weiteren Schritt über die Nodes der registrierten Partner des Vereins verteilt werden, wie Löpfe erklärt.
Quartierstrom: Vom Blockchain-Projekt zur traditionellen IT-Plattform
Im Februar 2020 wurde im St. Gallischen Walenstadt ein Feldversuch abgeschlossen und positive Bilanz gezogen. Ein Jahr lang hatten 37 Haushalte im Rahmen von "Quartierstrom" ihren lokalen Solarstrom über eine Blockchain-Plattform gehandelt. Zu einem Drittel hätten sich die Haushalte ohne Zutun von Energieversorgern selbst mit Solarstrom versorgt, hiess es damals. Dafür wurde eine private, verteilte Datenbank eingesetzt, auf der 27 Teilnehmende als Validierungsknoten dienten. Auch hier wurde der Validierungsprozess konsensual abgewickelt: Waren zwei Drittel der Knoten einverstanden, wurden die Transaktionen abgeschlossen. Auch hier handelt es sich also um ein geschlossenes DLT-System (Glossar).
Damals erklärte ein Projektmitarbeiter: Für grössere Quartiere müsste man Subquartiere mit jeweils einer eigenen "Blockchain" aufziehen, damit der Rechenaufwand des demokratischen Konsensmechanismus überschaubar bleibe. Als Grenze für den Ansatz galten 5000 Haushalte. Zugleich begann das Team mit Quartierstrom 2.0 ein neues Projekt durchzuführen: ohne Blockchain-Technologie.
Liliane Ableitner
Liliane Ableitner, die an den Projekten mitarbeitet, sagt: "Wir haben in unserem Fall kein Trustproblem, das eine Blockchain lösen müsste, da die Anwender in ihrem Keller verlässliche Stromzähler haben". Diese werden von Intermediären zur Verfügung gestellt, die für das Vertrauen sorgen. Letzteres dürfte in geschlossenen Systemen generell der Fall sein. Der Blockchain-Ansatz würde nur in Netzwerken Sinn ergeben, in denen keine Energieversorger involviert sind, so Ableitner.
Bereits im Abschlussbericht des Bundesamtes für Energie (BFE), der knapp ein halbes Jahr nach Projektabschluss 1.0 veröffentlicht wurde, hiess es: "Das Projekt offenbarte zugleich auch operationelle Schwierigkeiten bei der Einführung eines solchen Transaktionssystems auf der bestehenden Infrastruktur für intelligente Zähler und bei der Identifizierung eines vielversprechenden Geschäftsmodells für ein blockchain-basiertes System". Ableitner bestätigt, dass die Infrastruktur in den Häusern die Kommunikation zwischen den Smart Metern, den Stromzählern, gar nicht sicherstellen könne, was für ein DLT-basiertes Modell aber notwendig wäre.
Die Projektmitarbeiterin sagt, dass es potenzielle Use Cases gebe, aber sie räumt auch ein, dass man zum Projektstart 2017 auf dem grossen Blockchain-Hype mitgeritten sei und schnell mit einer einsatzbereiten Technologie agieren musste, ohne die Rahmenbedingungen ins kleinste Detail vor Projektstart evaluieren zu können. Im Nachfolgeprojekt wurden nun Handelsplattform und Applikationen auf handelsüblicher Technologie abgebildet.
dHealth Network: Was lange währt, wird eine Basisplattform
Das am 29. März 2021 gestartete dHealth Network will ein verteiltes System für Transaktionen im Gesundheitswesen sein. Die gleichnamige Trägerstiftung wurde im November 2017 in Zug gegründet und zeichnet für die Token-Ausgabe, das Netzwerkprotokoll und den Ausbau des Ökosystems verantwortlich. Das Partnernetzwerk ist bereits beachtlich: Neben mehreren Universitäten zählen auch die Pharma-Riesen Roche und Eli Lilly dazu.
Das Netzwerk wurde mit einer begrenzten Anzahl von Supernodes lanciert, die von Partnern betrieben werden: Unter anderem von Roche, der Uni Zürich, der FHNW, Eli Lilly und einer Forschungseinrichtung aus Litauen. Das klingt eigentlich ebenfalls nach einem geschlossenen System, dieser Einschätzung widerspricht aber Eberhard Scheuer, Präsident der dHealth-Stiftung: Das auf der Technologie von Symbol basierende System sei offen, sagte er. "Jeder kann unsere Software herunterladen und einen Knoten betreiben, mittlerweile sind es über 60".
Die Geschäftspartner können aber eigene Token ausgeben und an der Weiterentwicklung des Netzwerks teilhaben und sie können über Schnittstellen den Zugang zu den Daten ermöglichen, wie einem Whitepaper zu entnehmen ist. Demnach soll das Netzwerk auf nicht mehr als 100 Partner anwachsen. Sie würden das Projekt lediglich mitfinanzieren und Token im Wert des Betrags erhalten, unterstreicht Scheuer. Zudem unterstütze man sie beim Aufbau ihrer Lösungen und biete direkten Support von der Stiftung.
Eberhard Scheuer
Diesen Partnern kommt eine Sonderrolle zu, wenn sie über die Weiterentwicklung des Netzwerks mitbestimmen können. Für das System selbst setzt dHealth Network aber auf einen Proof-of-Stake-Mechanismus (Glossar), sodass die Knoten per Zufall – gewichtet nach ihrer Beteiligung am System – für die Validierung von Transaktionen ermittelt werden. Darum braucht man hier, im Gegensatz zu Cardossier und Quartierstrom 1.0, zwingend eine native Währung, um diese Knoten zu bezahlen.
"Wir haben gesehen, dass sich eine abgeschottete Plattform für unser Anliegen nicht eignet", sagt Scheuer, dessen Netzwerk ursprünglich als geschlossenes System startete. Mittlerweile geht es in Richtung des Ansatzes, der auch für Decentralized Finance (Defi) angedacht ist: Eine Basisblockchain soll die Grundlage bilden, auf der in verschiedenen Ebenen Lösungen von Teilnehmern implementiert werden können. So lassen sich regulierte und sensible Geschäfte auch in Umgebungen abwickeln, die von Anbietern verwaltet und kontrolliert werden.
Bereits seien Anwendungen für Gesundheitszertifikate, Impfstoff-Tracking und das Monitoring von Behandlungsverläufen live, sagt Scheuer. Im Laufe des Jahres sollen die von Patienten kontrollierten Repositories für Gesundheitsdaten, Digitale Contracts und Stable Coins integriert werden.
Von den drei untersuchten Projekten kommt dHealth Network dem am nächsten, was man im engeren Sinne als Blockchain fassen kann, allerdings mit der Einschränkung, dass die Projektpartner bestimmte Sonderrollen haben. Wie sich diese noch ausgestalten, wird sich im Verlauf des Projekts zeigen. Die anderen beiden Projekte sind zwar mehr oder weniger auf Kurs, ihr Blockchain-Aspekt wurde indes stark angepasst: Entweder wurde auf eine private Lösung gesetzt und der Anteil reduziert oder der technologische Ansatz gleich ganz fallen gelassen.
Dies ist der dritte Teil einer sechsteiligen Artikelserie.
Teil 2
Aus der Wissenschaft: "Die Idee ist längst nicht tot"Die Leiterin eines Hochschul-Blockchain-Centers zeigt sich optimistisch. "Viele Hoffnungen haben sich in Luft aufgelöst", sagt indes ein Informatik-Dozent. Was steckt dahinter?
Teil 5 Das Crypto Valley in der Pandemie Wo steht der Blockchain-Standort Schweiz in Pandemie und zweitem Krypto-Winter? Wir haben uns in Zug umgesehen und mit Beteiligten gesprochen.
Teil 6 Einordnung: Crypto ist tot, lang lebe Crypto! Was ist von Technologie und Geschäft zu erwarten? Was war Hype, was ist das reelle Potential? Die Resultate aus den Recherchen.