Delegiertenversammlung der Grünen. Foto: Benjamin Zumbühl
Die Grünen äussern sich zu Themen wie Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit, Fachkräftemangel, digitaler Franken und E-Government.
Im Vorfeld zu den Eidgenössischen Parlamentswahlen am 22. Oktober haben wir die Fraktionsparteien im Bundeshaus zu zahlreichen digitalen Themen befragt. Während 6 Wochen zeigen wir Ihnen jeweils am Mittwoch, wie GLP, die Mitte, die Grünen, SP, SVP und FDPzu Künstlicher Intelligenz, Cloud bei Behörden, Datenschutz, IT-Beschaffungen, digitale Währungen und anderen kontroversen Digitalthemen stehen. Damit möchten wir Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit geben, sich über die Digitalkompetenz der Parteien sowie deren Standpunkte zu informieren. Die Abfolge für die Publikation der Beiträge wurde in unserem Podcast ausgelost.
Heute: Die Grünen.
Die öffentliche Verwaltung zieht in die Cloud. Wie steht die Grünen zur Verwendung von Public-Cloud-Dienstleistungen durch Behörden? Welche Daten sollen dort gespeichert werden dürfen?
Für unsensible Daten ist die Verwendung von Public-Cloud-Dienstleistungen durch Behörden unproblematisch und sogar zu begrüssen, da die Cloud-Skaleneffekte auch aus einer Ressourcenperspektive sinnvoll sind. Bei sensiblen Daten ist der Einsatz problematisch, insbesondere bei Firmen aus Staaten, in denen die Rechtssicherheit nicht garantiert ist. Für hochsensible Daten wiederum muss der Bund eine zeitgemässe, eigene Cloud-Infrastruktur aufbauen.
Manche Länder verbieten Kommunikationstechnologien von chinesischen Anbietern. In der Schweiz ist solche Netzwerkausrüstung im Einsatz. Muss dagegen etwas getan werden?
Grundsätzlich wünschen wir uns ein weltumspannend interoperables Internet und keine Zerstückelung in geopolitische Mächte. Leider läuft der Trend aber in die Gegenrichtung, was wir sehr bedauern. Es ist kurzfristig unrealistisch, dass wir uns von chinesischer Infrastruktur lösen. Mittel- und langfristig sollten wir unsere schweizerische oder europäische Souveränität in der digitalen Welt stärken und eigene Infrastrukturen und Ökosysteme aufbauen. Die EU versucht das, die Schweiz sollte dort mitwirken. Die digitale Souveränität bietet auch ein grosses Innovationspotential für den Hosting-Standort Schweiz, wie auch für die internationalen Cloud-Anbieter.
Unterstützen Sie die Idee, dass sich grosse Internetplattformen an den Kosten für den Netzausbau beteiligen müssen?
Dass eine öffentliche Infrastruktur halbprivat finanziert wird, zieht Abhängigkeiten nach sich, die es zu vermeiden gilt. Die Gewinne der grossen Internetplattformen sollten besser und konsequenter besteuert werden. Dazu ist ein grundlegender Richtungswechsel in der Steuerpolitik nötig, und zwar weg von der Quelle Arbeit als Steuersubstrat hin zu einer Gewinnsteuer.
Fraktionsausflug im Juni 2023. Foto: Benjamin Zumbühl
Mit der Post dringt ein Bundesbetrieb verstärkt in den digitalen Sektor vor. Wie stehen Sie zu den zahlreichen Übernahmen und der Strategie der Post?
Dass die Post ihre Mittel zur Erfüllung ihrer Raison d’être dem digitalen Zeitalter anpasst, ist legitim. Allfällige Verzerrungen sind der Tatsache geschuldet, dass man von der Post, wie von anderen staatsnahen Unternehmen, auch marktnahes und gewinnbringendes Wirtschaften einfordert. Grosse private Unternehmen können jedoch genauso verzerrend auf die Privatwirtschaft wirken.
Soll die Schweiz sich eine eigene digitale Währung zulegen? Könnte ein digitaler Franken die Schweizer Wirtschaft voranbringen?
Digitales Bargeld, welches keine Datenspuren hinterlässt, unterstützen die Grünen (GNU-Taler). Pilotprojekte mit bspw. einem Digitalen-Stable-Coin-Franken ebenso, jedoch vorerst primär zum Erkenntnisgewinn.
Die Meldepflicht für Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen kommt. Wie steht Ihre Partei zur Meldepflicht? Geht sie zu weit? Zu wenig weit?
Eine Meldepflicht für Cyberangriffe, aber auch für Cybervorfälle bei kritischen Infrastrukturen ist dringend nötig. Wir brauchen einen möglichst vollständigen und datenreichen "Wetterbericht" über die aktuelle Lage und eine andere Sicherheitskultur.
Sollte eine solche Meldepflicht auch für Unternehmen eingeführt werden?
Die Meldepflicht bzw. der Begriff der kritischen Infrastrukturen müssen grosszügig ausgelegt sowie die Anreize für eine Meldung hoch und die Hürden dafür tief gelegt werden.
Grünen-Parteipräsident Balthasar Glättli: "Niemand fühlt sich wirklich für die Sicherheit zuständig"
Balthasar Glättli.
Welches Digital-Thema beschäftigt Sie persönlich am meisten?
Die Übermacht der grossen digitalen Plattformkonzerne. Wegen dem Netzwerkeffekt werden ihre Oligopole immer stärker. Das hebelt den Datenschutz aus. Bedroht die Netzneutralität. Lenkt die KI-Entwicklung nicht in die Richtung des grössten gesellschaftlichen Nutzens, sondern der hohen privaten Gewinne. Und behindert technische und Business-Innovation in der IT.
In welchen Bereichen ihres alltäglichen Lebens nehmen Sie die Digitalisierung am stärksten wahr?
Die Digitalisierung ist unterdessen so omnipräsent wie Strom und Wasser. Eine Infrastruktur, auf deren Funktionieren wir uns einfach verlassen, gerade dort, wo sie in den Hintergrund tritt. Sei dies das immer verfügbare mobile Internet, die On-demand-Lieferketten, die von Menschenhand gar nicht mehr beherrschbar wären oder die immensen Wissensmengen, die heute buchstäblich "at our fingertip" verfügbar sind.
Wo hat die Schweiz ihrer Meinung nach das grösste Potenzial in der Digitalisierung?
Wir sind sowohl im MEM-Bereich als auch bei der Logistik sehr stark und haben auch im Bereich IT und Robotik grosse Kompetenzen, zum Beispiel an den ETH. Wenn wir diese Stärken noch besser als heute kombinieren könnten, hätte dies auch international grosses Potential.
Wo sehen Sie die grössten Probleme?
Sicherheit und Abhängigkeit einerseits, Diskriminierung andererseits. Gerade weil Digitalisierung als Infrastruktur des neuen Jahrtausends omnipräsent ist, verschwindet sie gleichzeitig aus unserem Bewusstsein. Dass sich niemand wirklich für die Sicherheit zuständig fühlt, zeigt sich beispielhaft beim Xplain-Hack. Aber auch bei vielen KMU muss ich davon ausgehen, dass Informationssicherheit nicht die nötige Priorität erhält. Mit ein Grund natürlich: der Fachkräftemangel gerade auch im IT-Bereich. Gleichzeitig sind wir von einer funktionierenden IT-Infrastruktur unterdessen so abhängig, dass auch ein «Abschalten» keine Option ist. Diskriminierung sehe ich als grosses Problem angesichts aller (teil)automatisierten Entscheide – diese sind schon heute ja gang und gäbe, ganz unabhängig von den Large Language Models, die dank ChatGPT, Bart, Midjourney usw. nun die Schlagzeilen beherrschen. Darum bräuchte die Schweiz dringend ein generelles Anti-Diskriminierungsgesetz.
Braucht die Schweiz einen Digitalminister oder eine Digitalministerin?
Ja.
Würden Sie sich dieses Amt zutrauen?
Weil ich sowohl die politischen Mechanismen als auch die technischen Grundlagen kenne und weil ich gelernt habe, beides nicht nur aus der "Nerd-Perspektive" anzugehen, wäre ich wohl nicht die schlechteste Besetzung. Ich würde allerdings dieses Amt nur im Job-Sharing machen wollen.
Welche Rolle soll dem neuen Bundesamt für Cybersicherheit zukommen? Und wie kann die Trennung zwischen zivilen und militärischen Aufgaben bewerkstelligt werden?
Die Lage ist problematisch, sowohl bei der öffentlichen Hand wie auch bei den Unternehmen. Es braucht mehr Verbindlichkeit, bspw. mit einer erweiterten Meldepflicht oder auch die Erweiterung der Pflichten der obersten Leitungsgremien. Das Bundesamt für Cybersicherheit soll eine zentrale Rolle im Etablieren einer transparenten, kollaborativen Sicherheitskultur spielen.
Wird mit dem revidierten Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen alles besser? Geben Behörden und Verwaltung zu viel Geld für IT-Projekte aus?
Die Frage nach der Wirksamkeit der eingesetzten Mittel wird zunehmend wichtiger. Fachkräftemangel und zunehmende Komplexität zwingen uns, die Mittel systematischer und mit dem Nutzen für die Endnutzenden ins Zentrum zu stellen. Das neue Beschaffungsrecht ist auch auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Es ist nun möglich, nicht nur finanziell, sondern auch ökologisch vorteilhafte Angebote zu bevorzugen.
Wie steht die Schweiz bei der Digitalisierung der Verwaltung? Wo sehen Sie den grössten Aufholbedarf?
Die Schweiz hat digitalen Nachholbedarf, in der Verwaltung genauso wie in den Unternehmen. Geschuldet ist der Rückstand wohl zu einem guten Teil fehlendem Leidensdruck: Die papierene Schweiz war ein Erfolgsmodell. Nun wird es umso anspruchsvoller, um den Rückstand wettzumachen. Was wir brauchen: weg von PDF und hin zu auf offenen Standards basierenden, interoperablen, maschinensteuerbaren Schnittstellen und Daten, Aufbau einer Vertrauensinfrastruktur (E-ID) und Etablieren einer Community für ein Open-Source-Ökosystem der digitalen öffentlichen Verwaltung.
Der Schweiz fehlen in den nächsten Jahren Tausende IT-Fachkräfte. Müssen als Konsequenz mehr Fachkräfte aus Drittstaaten geholt oder IT-Dienste ausgelagert werden?
Die Grünen fordern in ihrem Programm für die nächste Legislatur eine Ausbildungs- und Sensibilisierungsoffensive für mehr Frauen in technologischen Berufen. Fachkräfte aus Drittstaaten sollten nur bedingt geholt werden, da diese dann in den Drittstaaten fehlen. Geflüchtete, die hier sind und hier bleiben dürfen oder müssen, sollen hingegen besser in den (IT-)Arbeitsmarkt integriert werden. IT-Dienste auslagern sollte nur eine Überbrückungslösung sein.
Die Grünen-Fraktion der vergangenen Legislaturperiode. Foto: Monika Flueckiger
Eine mögliche KI-Regulierung ist in der EU und anderen Ländern ein grosses Thema. Welche Schritte muss die Schweiz hier unternehmen? Wo sehen Sie Vorteile, wo Gefahren dieser Technologie?
KI ist eine grosse Chance, sie muss aber begleitet werden von Massnahmen für mehr Aus- und Weiterbildung und Sensibilisierung, Transparenz über den Einsatz von KI, von besseren Möglichkeiten, sich gegen Diskriminierung zu wehren, sowie Massnahmen gegen zu viel ökologischen Ressourcenverbrauch durch KI.
Gute regulatorische Rahmenbedingungen sind nötig, sonst wird der gesellschaftliche Widerstand gegen KI mittelfristig enorm sein. Hinzu kommt, dass Rechtssicherheit ein wichtiger Standortvorteil für Unternehmen darstellt, die in dem Bereich aktiv sind.
Inwiefern setzt Ihre Partei Künstliche Intelligenz ein?
Künstliche Intelligenz prägt insbesondere die Arbeit des Parteisekretariates. Die Nutzung geht vom Spamfilter über Übersetzungstools bis hin zu Content Generation (Bilder, Code etc.).
Was gehört für Ihre Partei zu einem digitalen Service Public? Wie stehen Sie zur Einführung von E-ID, E-Voting oder dem Elektronischen Patientendossier (EPD)?
Die E-ID ist der Dreh und Angelpunkt für eine öffentlich legitimierte Vertrauensinfrastruktur, die uns seit Langem fehlt. E-Collecting sollte so rasch wie möglich eingeführt werden. E-Voting vorerst nur für Gruppen, die so einen (verbesserten) Zugang zum demokratischen Prozess erhalten, wie Auslandschweizerinnen und -schweizer oder Menschen mit einer Behinderung.
Welche Rolle muss dem Datenschutz bei der Digitalisierung solcher Dienste und Personendaten zukommen? Genügen die momentanen Instrumente mit dem aktualisierten Datenschutzgesetz?
Grundsätzlich ist eine dezentrale Speicherung der Personendaten sehr wichtig. Es sollen auch nur die Daten aufgezeichnet werden, die nötig und nützlich sind (Datensparsamkeit). Der Schutz der Privatsphäre – und der Demokratie bei E-Voting – sind für die Grünen grundsätzlich sehr wichtig.
Welche Art von Daten sammelt Ihre Partei von Wählerinnen und Wählern?
Wir gewichten den Datenschutz nicht nur politisch sehr hoch, sondern leben diesen auch. Entsprechend sammeln wir nicht systematisch Daten über unsere Wählerinnen und Wähler. Natürlich haben wir aber eine Mitgliederkartei und wir müssen auch Daten von Nicht-Mitgliedern verarbeiten, wenn diese beispielsweise unseren Newsletter abonnieren. Neben den Stammdaten, Angaben zur Mitgliedschaft sowie Spendendaten können Personen freiwillig auch besondere Interessen oder ihren Beruf angeben. Zudem können beim Öffnen unseres Newsletters oder beim Lesen unserer Website gewisse Nutzungsdaten anfallen.
Über welche digitalen Kanäle schalten Sie Werbung während Ihrer Wahlkampagne?
Über Google Ads, Plattformen von Meta, Online-Inserate bei Medien und Websites, SBB Mobile, Aymo, Goldbach, Snapchat.
Wahl-Report 2023
Am 22. Oktober stehen die eidgenössischen Wahlen an. Inside-it.ch befragt die 6 Fraktionsparteien im Bundeshaus zu digitalen Themen.